Kleines Demografie-Einmaleins

1. Dezember 2015 Meinungen

Ein Blick über den Tellerrand zeigt: Das Schweizer Rentensystem schneidet im internationalen Vergleich gut ab. Gemäss dem «Pension Index», den das Beratungsunternehmen Mercer und das Australian Centre for Financial Studies jährlich herausgeben, belegt die Schweizer Altersvorsorge hinter Dänemark, den Niederlanden und Australien zusammen mit Schweden den vierten Platz. Alles in Butter also? Jein. International gesehen ist die Schweizer Altersvorsorge zwar Spitze. Die Studienautoren orten aber auch Reformbedarf. «Increasing the state pension age over time», lautet etwa einer ihrer Reformvorschläge. In Anbetracht der demografischen Herausforderungen, die unserem Land bevorstehen, ein legitimer Zuruf.

Wissen Sie, wie viele Rentnerinnen und Rentner 2045 in der Schweiz leben werden? Fast doppelt so viele wie heute. In Zahlen: gegen 3 Millionen. Zudem steigt die Lebenserwartung markant an – zwischen 2015 und 2045 um 4 Jahre auf 89 Jahre bei den Frauen und um 5 Jahre auf 86 Jahre bei den Männern. Im Jahr 2045 haben Herr und Frau Schweizer mit 65 also noch 21 bzw. 24 Jahre vor sich. Bei der Einführung der AHV 1948 waren es gerade einmal 12 bzw. 14 Jahre. Gleichzeitig erhöht sich die Geburtenrate bis 2045 nur unwesentlich, nämlich um 0,08 Kinder. Dass wir länger leben ist auf jeden Fall erfreulich, nur bezahlen wir einen Preis dafür. Wo sich die Gewichte zwischen Jung und Alt derart verschieben, leidet auch das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern. Kommen heute noch 3,5 Berufstätige auf 1 Rentner, so wird das Verhältnis 2045 auf 2 zu 1 geschrumpft sein.

Die sozialpolitischen Konsequenzen dieser Entwicklung kann man sich leicht ausmalen. Wenn das System weniger einnimmt, als es ausgibt, sind die Renten irgendwann nicht mehr gedeckt. Da mutet es seltsam an, dass der Ständerat in der Herbstsession die Spendierhosen anzog und allen Neurentnern 70 Franken mehr AHV versprach (hinzu kommt eine leichte Anhebung des Ehepaar-Plafonds). Die demografische Dynamik sorgt nämlich dafür, dass die Kosten für diesen Leistungsausbau zwischen 2030 und 2035 von 1,4 auf 2,1 Milliarden Franken anschwellen. Das hat zwei Effekte: Erstens verschärft sich das strukturelle Problem in der AHV, wonach immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner finanzieren müssen; zweitens wird die Lösung dieses Problems verschleppt. Die Suppe auslöffeln müssen die Berufstätigen und die Arbeitgeber sowie die nachkommenden Generationen. Fair geht anders.

 

Wenn das System weniger einnimmt, als es ausgibt, sind die Renten irgendwann nicht mehr gedeckt.

Der AHV-Ausbau hat aber noch einen anderen, pikanten Effekt. So erhalten Bezüger von Ergänzungsleistungen zwar 70 Franken mehr Rente, aber auch 70 Franken weniger Ergänzungsleistungen. Ein Nullsummen-Spiel? Nicht ganz. Das Mehr an Rente muss versteuert werden – im Gegensatz zu den Ergänzungsleistungen. Unter dem Strich haben diese Leute also weniger. Die mittleren und oberen Einkommen dagegen bekommen die 70 Franken ebenfalls, obwohl sie keinen Bedarf haben. Der AHV-Ausbau löst also eine Umverteilung von unten nach oben aus. Ob das die Absicht des Ständerats war? Kaum.

Es ist schon fast eine Binsenwahrheit, dass das ständerätliche Ausbauexperiment rückgängig gemacht werden muss. Zur Sicherung des Rentenniveaus bis nach 2030 reichen die Erhöhung des Frauen-Rentenalters auf 65, 0,6 Mehrwertsteuer-Prozente sowie eine Senkung des Mindestumwandlungs-Satzes in der zweiten Säule auf 6,0 Prozent. Erst danach stiege das Rentenalter im Rahmen einer Stabilisierungsregel schrittweise weiter an, im Einklang mit der demografischen Realität. Die Altersvorsorge-Reform ist so für Wirtschaft und Gesellschaft verkraftbar. Vergessen wir nicht, dass sich eine zu grosse wirtschaftliche Belastung negativ auf die Arbeitsplatz-Sicherheit und die lohnbeitragsfinanzierte AHV auswirkt. Und hoffen wir, dass der Nationalrat mehr Weitsicht beweist als der Ständerat. Auf dass unser Rentensystem auch in den künftigen Mercer-Rankings ein Top-Resultat erzielt!