Die höhere Berufsbildung braucht ein Förderkonzept

12. November 2010 Meinungen

Der höheren Berufsbildung fehlt ein integriertes Förderkonzept. Das heutige unübersichtliche Subventionsgeflecht und der Ruf nach mehr staatlicher Unterstützung machen eine echte Gesamtschau zwischen Arbeitsmarkt und Staat nötig.

Die diesjährige Lehrstellenkonferenz in Biel beschloss mit breitem Konsens Massnahmen zur Stärkung der höheren Berufsbildung. Damit wurde die Aufmerksamkeit auf ein Ausbildungssegment gelenkt, das wesentlich zur Versorgung des Arbeitsmarktes mit Fach- und Führungskräften beiträgt. Die Wirtschaft hat ein grosses Interesse an der höheren Berufsbildung. Sie unterstützt deshalb das von der Lehrstellenkonferenz verabschiedete Programm. Bei 400 eidgenössischen Prüfungen und 400 Bildungsgängen wird es indes nicht einfach sein, ein System zu entwickeln, das den Wert dieser Abschlüsse und die damit erworbenen Kompetenzen klar erkennbar macht. Die Übernahme des akademischen Bologna-Systems ist jedenfalls nicht opportun, weil darin der Praxisbezug als Qualität der höheren Berufsbildung nicht gebührend berücksichtigt würde. Der Königsweg liegt bei der Einordnung der höheren Berufsbildung in einen europakompatiblen nationalen Qualifikationsrahmen für alle Ausbildungsgänge und in der Ausstellung von «diploma supplements», welche die erworbenen Kompetenzen näher erläutern.

Die Finanzierung, ein schwieriges Thema
Noch schwieriger werden die Probleme, wenn es um die Finanzierung der höheren Berufsbildung geht. Diese erfolgt heute weitgehend durch die Arbeitgeber und die Studierenden, während die öffentliche Hand lediglich rund 460 Mio. Franken beiträgt. Bundesbeiträge gibt es nur für die Trägerschaften, welche Berufsprüfungen und höhere Fachprüfungen durchführen. Die Finanzierung der eigentlichen Ausbildungen (Vorbereitungskurse und höhere Fachschulen) liegt bei den Kantonen. Deren Subventionsbereitschaft gegenüber den Angeboten einzelner Branchen differiert sehr stark, wobei Traditionen und bilaterale Absprachen eine erhebliche Rolle spielen. Aber auch Kurse innerhalb des gleichen Kantons werden unterschiedlich behandelt. Das kann vor allem zur finanziellen Benachteiligung von Studierenden führen, die sich nur ausserhalb ihres Wohnsitzkantons höher qualifizieren können. Im Gegensatz zum Hochschulbereich ist interkantonale Freizügigkeit der Studierenden nur sehr beschränkt gewährleistet; hier soll immerhin ein neues Konkordat der Kantone für höhere Fachschulen Verbesserungen bringen.

Angesichts der grossen Unterschiede zwischen den öffentlichen Beiträgen für die Hochschulen und für die höhere Berufsbildung ist der Ruf nach einer stärkeren Subventionierung der höheren Berufsbildung verständlich. Er wird auch durch Art. 61a. Abs. 3 BV legitimiert, der die gleichwertige, gesellschaftliche Anerkennung durch Bund und Kantone fordert. Es wäre aber falsch, die Bildungsbereiche gegeneinander auszuspielen und mit unbedachter Mittelverlagerung den Hochschulbereich zu schwächen. Gefordert ist vielmehr ein Konzept, das an die strategische Positionierung der höheren Berufsbildung anschliesst und die öffentliche Finanzierung auf das Nebeneinander von staatlichen, privaten, kommerziellen sowie patronal und sozialpartnerschaftlich organisierten Bildungsangeboten abstimmt.

Vielfältige Bildungsbedürfnisse nicht schwächen
Zu beachten ist insbesondere, dass die Erfolgscharakteristik der höheren Berufsbildung mit ihrer hohen Flexibilität, ihrer starken Praxis- und Output-Orientierung sowie ihrer engen Verbindung zu den Arbeitsmarktrealitäten das Gewicht der öffentlichen Hand in der Finanzierung limitiert. Je mehr der Staat bei der Finanzierung seine subsidiäre Rolle verlässt, desto mehr müsste er konsequenterweise auch steuern und damit die höhere Berufsbildung einer bürokratischen Verwaltungs- und Schullogik unterstellen. Dies aber ist nicht erwünscht. Der zukunftsgerichtete Blick auf die Qualifikationsbedürfnisse einer Branche einerseits sowie die Anbindung an die betrieblichen Realitäten andererseits müssen durch Milizgremien der Verbände und Sozialpartner sichergestellt werden. Die vielfältigsten Bildungsbedürfnisse einer äusserst ausdifferenzierten Wirtschaft dürfen nicht durch Formalismen einer Vollzugsverwaltung geschwächt werden. Nicht unwichtig sind auch relevante Eigenbeiträge der Studierenden und ihrer Arbeitgeber: Sie fördern die Motivation der Studierenden und sorgen für bewusste Entscheidungen und damit eine gezielte Höherqualifizierung. Die Arbeitgeber sind in der Pflicht und auch willens, diese Förderaufgabe wahrzunehmen.

Deshalb verlangt der Schweizerische Arbeitgeberverband ein integriertes «Förderkonzept höhere Berufsbildung», welches eine starke strategische Positionierung der Ausbildungen mit angemessener Finanzierung unterstützt. Dabei muss das finanzielle Engagement der öffentlichen Hand subsidiär, zielgenau und transparent sein. Um zu einem solchen Konzept zu kommen, braucht es zunächst eine Bestandesaufnahme der völlig unübersichtlich gewordenen Subventionsverhältnisse. Gestützt darauf müssen dann Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt ein gemeinsames Problemverständnis entwickeln und den Rahmen und das System der Finanzierung bestimmen. Dazu gehört auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen von nachfrageorientierten Finanzierungsformen.

Kompetenzen verlagern
Eine erste Analyse führt zum Schluss, dass eine optimale Lösung für die Finanzierung der höheren Berufsbildung nur mit einer Verlagerung der entsprechenden Kompetenzen von den Kantonen zum Bund gefunden werden kann. Bundesweit geltende Finanzierungsinstrumente würden vor allem der Tatsache Rechnung tragen, dass ein grosser Teil der Angebote für höhere Berufsbildung von Absolventen aus mehreren Kantonen oder gar aus der ganzen Schweiz genutzt wird. Da eine solche Kompetenzverlagerung eine Änderung des Berufsbildungsgesetzes verlangt, sollten die Arbeiten für das geforderte «Förderkonzept höhere Berufsbildung» rasch an die Hand genommen werden.