Schwarzmalende Gewerkschaften

9. November 2015 Meinungen

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat ein düsteres Bild zu den Arbeitsbedingungen in der Schweiz gezeichnet. Wieder einmal wurden an der Delegiertenversammlung alte Feindbilder und künstliche Empörung bemüht, um sattsam bekannte Forderungen zum Arbeitnehmerschutz ins Gespräch zu bringen. Für den Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV) ist der Katalog weder neu noch überraschend, sondern ein Sammelsurium, in dem in gewohnt gewerkschaftlicher Manier aus behaupteten Missbräuchen einmal mehr einschränkende Kontrollen abgeleitet werden.

Die Berichte aus dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sprechen eine andere Sprache. Im jüngsten Bericht über den Vollzug der flankierenden Massnahmen (FlaM) ist etwa zu lesen, dass «sich die flankierenden Massnahmen als Instrument gegen unerwünschte Auswirkungen des Personenfreizügigkeitsabkommens auf die schweizerischen Lohn- und Arbeitsbedingungen bewährt und die Kontrolldichte als ausreichend erwiesen haben». Eine andere Seco-Studie unter der Leitung von Staatssekretärin Ineichen-Fleisch kommt zum Schluss, dass «ein wachsendes Netz von allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen (GAV), eine intensivere Beobachtung und Kontrolle des Arbeitsmarktes durch tripartite und paritätische Kommissionen, wenn nötig der Erlass von Normalarbeitsverträgen mit zwingenden Mindestlöhnen oder die erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von GAV sowie das Entsendegesetz dazu beigetragen haben, dass die üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen in den betroffenen Branchen trotz erhöhter Zuwanderung nicht erodiert sind». Und eine unlängst publizierte wissenschaftliche Studie aus dem Tessin hat zutage gefördert, dass trotz stark wachsendem Grenzgänger-Aufkommen die Einheimischen nicht in die Arbeitslosigkeit verdrängt werden. Die Realität entlarvt also die Ansagen der Gewerkschaften als blosse Empörungs-Rhetorik.

Auch die Analysen zum Verhältnis zu Europa sind nicht durchdacht. Zwar will der SGB ebenso wie die Spitzen der Wirtschaft die Bilateralen Verträge erhalten. Allerdings verstricken sich die SGB-Delegierten mit ihrer gleichzeitig erhobenen Forderung nach einem noch rigideren Schutz von Löhnen und Arbeitsplätzen in Widersprüche. Bereits jetzt stellt die Europäische Union immer wieder einzelne FlaM in Frage und beurteilt sie teilweise gar als rechtswidrig. Ein weitergehender materieller Ausbau der FlaM würde darum von der EU aller Voraussicht nach nicht mehr akzeptiert. Die Gewerkschaften sind schlecht beraten, wenn sie auf die für unser Land zentrale Frage keine anderen Antworten gefunden haben.

 

Es gibt keinen Anlass, die Missbrauchsbekämpfung oder den Arbeitnehmerschutz auszubauen.

Kurzum: Der SAV kann die Lagebeurteilung des SGB nicht nachvollziehen und hat kein Gehör für das gewerkschaftliche Wunschkonzert. Die meisten der vom SGB verabschiedeten Massnahmen sind schon früher von Vertretern des Bundes, der Kantone und der Sozialpartner geprüft und als überflüssig oder dirigistisch verworfen worden. Es gibt keinen Anlass, die Missbrauchsbekämpfung oder den Arbeitnehmerschutz auszubauen. Ebenso unnötig sind weitere Kontrollen zur Verhinderung von sogenanntem Lohndumping. Die Arbeitgeber der kategorischen Gesprächsverweigerung zu bezichtigen, ist eine hilflose Reaktion von SGB-Präsident Paul Rechsteiner. Mit Schwarzmalen mag ihm zwar Applaus aus den eigenen Reihen sicher sein. Er stösst aber all jene besonnenen Kräfte vor den Kopf, die nicht mit verengtem Blick Gewerkschaftspolitik betreiben, sondern verantwortungsvoll an Lösungen für die grossen Herausforderungen unseres Landes bauen.

Der Schweizerische Arbeitgeberverband hat seine Hausaufgaben gründlicher gemacht und  einen Sieben-Punkte-Plan mit Augenmass veröffentlicht. Darin sind zielführende, auf die konkrete innen- und aussenpolitische Situation ausgerichtete Massnahmen definiert. Damit wollen die Arbeitgeber einer weiteren «Deflexibilisierung» des Arbeitsmarktes einen Riegel schieben und in der nächsten Legislatur dringende Reformen zum Erhalt des Erfolgsmodells Schweiz anpacken. Werden diese Forderungen nicht umgesetzt, riskiert die schweizerische Wirtschaft in einer sich rapide verändernden Welt ihre Anpassungsfähigkeit einzubüssen. Der Schweiz würde ein Abstieg ins Ungewisse drohen.