Arbeitsmarkt Lohnfragen

Halbwahrheiten im Namen der Gleichstellung? Eine Replik

Im Tagesanzeiger erklärte die Unia-Ökonomin Noémie Zurlinden, ein grosser Teil der Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen sei auf Diskriminierung zurückzuführen – und spricht dabei sogar von «sexistischen Chefs». Solche Aussagen erwecken Aufmerksamkeit und klingen kämpferisch, sind aber sachlich unhaltbar. Eine ehrliche Debatte um die Lohngleichheit verdient mehr als verkürzte Thesen und falsche Zahlen.

Dass die Debatte um die Lohngleichheit engagiert und medial präsent geführt wird, ist berechtigt. Gerade weil es bei der Geschlechtergleichstellung um ein zentrales gesellschaftliches Anliegen geht, ist es aber umso wichtiger, dass die Diskussion ehrlich und faktenbasiert geführt wird. Leider prägen allzu oft Halbwahrheiten und Übertreibungen vonseiten der Gewerkschaften die Debatte. Der jüngste Beweis dafür liefert das gestrige Interview im Tagesanzeiger mit der Unia-Vertreterin Noémie Zurlinden zu den Frauenlöhnen. Die Aussagen, welche die Ökonomin darin macht, sind in Teilen so verkürzt und inhaltlich falsch, dass sie nicht unwidersprochen bleiben dürfen.

Besonders irritierend ist etwa Zurlindens Behauptung, wonach sich knapp die Hälfte der Lohndifferenzen erklären lasse – etwa durch das Alter oder die Arbeitserfahrung – und der Rest eine geschlechtsspezifische Diskriminierung sei. Diese Aussage ist nicht nur grob vereinfachend, sie ist sachlich schlicht falsch. Das ist keine neue Erkenntnis: Selbst das Das Bundesamt für Statistik (BFS), das für die Lohnstrukturerhebung verantwortlich ist, stellt seit Jahren klar, dass die «unerklärte Lohndifferenz» nicht als Beleg für Diskriminierung interpretiert werden darf.

Doch warum ist das so? Die Lohnstrukturerhebung basiert auf einer begrenzten Datenlage. Es werden zwar einige lohnrelevante Faktoren berücksichtigt – etwa die Ausbildung, das Alter oder die Branche. Viele lohnbestimmende Faktoren und Einflüsse bleiben aber aussen vor. So erfasst die Statistik etwa nicht, ob jemand Erwerbsunterbrüche hatte, wie viel effektive Berufserfahrung eine Person mitbringt, oder welche sprachlichen oder sozialen Kompetenzen sie einbringt. All diese – und wohl auch weitere – Faktoren beeinflussen die Lohnhöhe wesentlich, sind aber in der Berechnung nicht enthalten.

Populistische Unterstellungen widerlegt durch Fakten
Die «unerklärte Differenz» ist kein Hinweis auf Diskriminierung, sondern ein methodischer Restwert. Wer diesen Restwert zur «geschlechtsspezifischen Diskriminierung» erklärt, ignoriert die Grenzen der Statistik – und bedient ein populistisches Narrativ, das mit der Realität in den Betrieben wenig zu tun hat. Damit kommen wir gleich zur nächsten problematischen Aussage. Zurlinden behauptet im Interview, es gebe immer noch Chefs, die Frauen aus Prinzip weniger zahlen würden. Das ist eine schwerwiegende Unterstellung, die der Arbeitgeberschaft pauschal eine diskriminierende Haltung unterstellt – und die jeglicher empirischen Grundlage entbehrt.

Ein Blick in die Realität der Betriebe zeichnet ein ganz anderes Bild. Die Resultate der betrieblichen Lohngleichheitsanalysen – welche konkrete Löhne innerhalb desselben Unternehmens vergleichen – sprechen eine deutliche Sprache: So zeigt eine jüngst publizierte Zwischenbilanz des Bundesamtes für Justiz, dass 98,8 Prozent der analysierten Betriebe die gesetzliche Toleranzschwelle in Sachen Lohngleichheit einhalten.

Unbequeme Tatsachen werden verschwiegen
Bemerkenswert ist, wie selektiv mit den Zahlen des BFS umgegangen wird. Was ins politische Narrativ passt – etwa der oft zitierte Lohnunterschied von 18 Prozent – wird genüsslich ausgeschlachtet. Weist das BFS aber in derselben Erhebung darauf hin, dass sich dieser Unterschied zu einem erheblichen Teil durch objektive Faktoren erklären lässt und dass der unerklärte Teil keine Aussage über Diskriminierung zulässt, werden diese Fakten geflissentlich ignoriert. Die gleichen Kreise, die sich auf die Statistik berufen, wenn es opportun ist, blenden zentrale methodische Aussagen des Verfassers aus, sobald sie nicht ins ideologische Konzept passen.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass die These der Lohndiskriminierung vor allem deshalb so vehement wiederholt wird, weil sie sich hervorragend eignet, um den Boden für weitere gewerkschaftliche Forderungen zu bereiten. Vor diesem Hintergrund ist es wohl kein Zufall, dass die fraglichen Aussagen ausgerechnet zwei Tage vor dem Frauenstreik platziert wurden. Mit einer sachlich fundierten Auseinandersetzung über die Ursachen von Lohnunterschieden hat das wenig zu tun. Es geht um politische Symbolik – nicht um Lösungen. Einer ehrlichen, zielgerichteten Debatte über Gleichstellung im Arbeitsmarkt wird damit ein Bärendienst erwiesen.