Familienpolitik auf dem Holzweg

18. April 2011 Meinungen

Mit einer Verfassungsänderung sollen die Kompetenzen in der Familienpolitik verschoben werden: Weg von Kantonen und Gemeinden – und hin zum Bund. Für differenzierte und pragmatische Lösungen ist der Weg zur eidgenössischen Uniformierung aber ein Holzweg.

Die politische Tradition der Schweiz versteht die Familienpolitik in erster Linie als Angelegenheit der Kantone und der Gemeinden. Diese haben über Jahrzehnte differenzierte Dispositive für die Unterstützung und Förderung der Familien aufgebaut, welche den regionalen Möglichkeiten und Bedürfnissen angepasst sind.

Grosszügige Minimalvorschriften für Familienzulagen
Seit einigen Jahren drängt nun aber auch der Bund in die Familienpolitik, wobei sich die Argumente des Ausbaus und der eidgenössischen Harmonisierung des staatlichen Leistungsangebots ergänzen. 2003 lancierte der Bund ein auf acht Jahre befristetes Programm, in welchem er Finanzhilfen (Anschubfinanzierungen) für den Aufbau von Einrichtungen zur familienergänzenden Kinderbetreuung leistete. 2005 wurde im Rahmen einer Änderung der Erwerbsersatzordnung die eidgenössische Mutterschaftsversicherung realisiert. Seit 2008 gelten grosszügige schweizerische Minimalvorschriften für die Familienzulagen, 2010 verlängerte das Parlament das erwähnte Finanzierungsprogramm für Kinderkrippen bis 2015, und in der zurückliegenden Session beschlossen die Räte die Einführung von Familienzulagen für Selbstständige. Dass die Mehrheit der Selbstständigen die Umverteilungsmaschinerie gesetzlicher Familienzulagen ablehnt, wurde mit dem Ruf «Ein Kind eine Zulage» vom Tisch gewischt. Und der Einwand, der Bund könne sich nach über 30 000 neu geschaffenen Plätzen wieder aus der Finanzierung der ausserfamiliären Kinderbetreuung zurückziehen, hatte gegen den Trend zur eidgenössischen Familienpolitik keine Chance.

Was bis dahin einzelsprungweise daherkam, soll nun strategisch dynamisiert werden. Gestützt auf eine parlamentarische Initiative gab die nationalrätliche Kommission für Soziales und Gesundheit den Entwurf zu einer Verfassungsbasis für eine umfassende Familienpolitik in die Vernehmlassung. Vorgeschlagen wird die Ergänzung der Bundesverfassung mit einem Art. 115a, dessen Absatz 2 vorsieht, dass Bund und Kantone die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit fördern und insbesondere für ein bedarfsgerechtes Angebot an familien- und schulergänzenden Tagesstrukturen sorgen sollen. Absatz 3 geht noch einen Schritt weiter: «Reichen die Bestrebungen der Kantone oder Dritter nicht aus, so legt der Bund Grundsätze über die Förderung der Vereinbarung von Familie und Erwerbstätigkeit fest. Er kann sich finanziell an den Massnahmen der Kantone beteiligen.»

Ideologische Aufladung droht
Mit dieser Verfassungsänderung würde dem Bund der Hebel für zahlreiche Massnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in die Hand gegeben, wobei auch an rechtliche Verpflichtungen der Arbeitgeber zu denken ist. Vor allem aber gewänne der Bund die politische Hoheit über ein Thema, das bislang primär von den Kantonen und Gemeinden bearbeitet wurde. Es liegt auf der Hand, dass die Familienpolitik mit dieser Kompetenzverschiebung nach Bundesbern ideologisch aufgeladen und viel von ihrem bisherigen Pragmatismus verlieren würde. Das mag gut sein für die Profilierungsbedürfnisse der Parteien. Für die Familienpolitik dagegen ist der Weg von der Differenzierung zur eidgenössischen Uniformierung ein Holzweg.