Die Angstmacherei ist durchsichtig

29. Februar 2016 Meinungen

Zahlreiche Eingriffe haben den offenen und flexiblen Arbeitsmarkt als traditionell massgeblichen Standortvorteil der Schweiz ausgehöhlt. Durch die «Deflexibilisierung» ist es für die Unternehmen schwierig geworden, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu erhalten. Auf dem Spiel stehen Tausende von Arbeitsplätzen und der Wohlstand, an dem die ganze Bevölkerung teilhat.

Neue regulatorische Angriffe auf den Arbeitsmarkt drohen insbesondere mit einem Ausbau der flankierenden Massnahmen (FlaM) zur Personenfreizügigkeit. Die FlaM, nach der Einführung des Freizügigkeitsabkommens mit der EU am 1. Juni 2004 in Kraft gesetzt, schützen die Erwerbstätigen vor dem Risiko missbräuchlicher Unterschreitungen der hiesigen Lohn- und Arbeitsbedingungen. Die Gewerkschaften haben die FlaM als eines ihrer Tummelfelder entdeckt und fordern einen materiellen Ausbau. So verkaufen sie unter der Etikette «Missbrauchsbekämpfung» neue Massnahmen gegen Lohndumping. Mit ihren Behauptungen schüren sie Befürchtungen, ausländische Arbeitskräfte würden das bestehende Schutzniveau unterlaufen.

Die Realität sieht anders aus. Nach über elf Jahren Erfahrung mit den FlaM beweisen verschiedene Studien zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den hiesigen Arbeitsmarkt: Die geltende Regelung hat sich bewährt, und Verdrängungsängste sind unbegründet. Auf Seite 13 des jüngsten FlaM-Jahresberichts des Seco ist unmissverständlich zu lesen: «Wie die Ergebnisse des Berichts zeigen, haben sich die FlaM als Instrument gegen unerwünschte Auswirkungen des Personenfreizügigkeitsabkommens auf die schweizerischen Lohn- und Arbeitsbedingungen bewährt, und die Kontrolldichte hat sich als ausreichend erwiesen.» Ebenso hat eine sozialpartnerschaftliche Arbeitsgruppe bei der Überprüfung von Normalarbeitsverträgen (NAV) «keinen Handlungsbedarf für zusätzliche präventive Massnahmen zum Schutz der Löhne oder zur Förderung der Sozialpartnerschaft» festgestellt.

Trotz amtlichem Gütesiegel werden die Gewerkschaften nicht müde, immer wieder immer neue Instrumente zu fordern. Schlimmer noch: Ein weiterer Ausbau der FlaM ist für sie das Pfand, weiterhin für die bilateralen Verträge mit der EU einzustehen. Demgegenüber stehen die Arbeitgeber ein für die Bekämpfung wiederholter, missbräuchlicher Lohnunterbietungen und damit für das bewährte Instrumentarium der FlaM. Sie bekennen sich zudem zu einer Optimierung des Vollzugs dieser Instrumente. Doch ein Ausbau der Instrumente um ihrer selbst willen, also ohne klare Darlegung ihrer Notwendigkeit und Eignung, kommt nicht infrage. Zu gross wäre die Gefahr, das Gut des flexiblen Arbeitsmarktes zu beschädigen.

 

Ein Ausbau der flankierenden Massnahmen um ihrer selbst willen, also ohne klare Darlegung ihrer Notwendigkeit und Eignung, kommt nicht infrage.

Darüber hinaus versuchen die Gewerkschaften, den Arbeitnehmerschutz – verpackt als FlaM – auszubauen. So drängen sie auf einen Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmende und auf eine Verbreitung allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsverträge (GAV). Neuerdings wollen sie die im letzten Jahr abgelehnten und darauf vom Bundesrat sistierten FlaM wieder ins Rennen schicken und durchboxen.

Die Arbeitgeber haben bereits letztes Jahr dazu abschlägig Stellung genommen, weil die vier Massnahmen weder qualitativ noch quantitativ begründet sind. Die kürzlich erfolgte Neubeurteilung der Massnahmen führte zum selben Resultat. Das erstaunt nicht, denn die Behörden konnten keine neuen Fakten vorlegen, die eine Revision der bisherigen Position rechtfertigten.

Mit Gesetzesänderungen um ihrer selbst willen sind wir schlecht beraten, zumal die EU ein kritisches Auge auf die FlaM geworfen hat. Die EU zu provozieren, während die Verhandlungen über eine einvernehmliche Schutzklausel gerade in die heisse Phase gehen, ist unklug. Vielmehr ginge es darum, den Vollzug der bestehenden FlaM zu optimieren. All diese Befunde erhärten den Verdacht, dass bei den Gewerkschaften partikulare Interessen einer sachlichen Auseinandersetzung im Wege stehen. Durch die Berichte und Grundlagen ist jedoch unbestritten, dass ein Ausbau der FlaM nicht gerechtfertigt ist.

Es ist zu hoffen, dass der Bundesrat sich nicht ins Bockshorn jagen lässt und den Weg der Sachlichkeit beschreitet. Sonst muss das Parlament eingreifen.

Der Gastkommentar von Roland A. Müller erschien in der «Schweiz am Sonntag».