Die «alternativen Fakten» der Gewerkschaften

2. August 2017 Meinungen

Seit der Brexit-Abstimmung und der Wahl von Donald Trump befinden wir uns im «postfaktischen» Zeitalter. In diesem neuen Umfeld beeinflussen falsche oder verzerrte Informationen die öffentliche Meinung. Die Schweiz bleibt nicht davon verschont – speziell die Gewerkschaften haben sich diese Praktiken zu eigen gemacht. Drei aktuelle Beispiele für solche Entgleisungen dienen zur Veranschaulichung.

Das Seco hat kürzlich einen Bericht veröffentlicht, der eine ausgesprochen positive Bilanz zu den 15 Jahren Personenfreizügigkeit zieht. Das gilt insbesondere für Wachstum und Beschäftigung. Die Studie, die eine Fülle von Fakten und Analysen zusammenträgt, stellt auch fest, dass sich die «flankierenden Massnahmen als wirksames Instrumentarium zum Schutz der Löhne der einheimischen Erwerbsbevölkerung erwiesen» haben.

Das illustriert etwa die Tatsache, dass die Mehrheit der 42’000 Unternehmen, die im Jahr 2016 kontrolliert wurden, die in der Schweiz geltenden Lohn- und Arbeitsbedingungen eingehalten hat. Die Gewerkschaften kümmert das wenig. Sie ignorieren die offiziellen Berichte und zeigen mit dem Finger auf angebliche Lücken im bestehenden System, um generelle obligatorische Mindestlöhne zu fordern.

Anfang Juli hat die Gewerkschaft Unia eine «Studie» zur Lohnschere präsentiert. Darin wurden die Saläre von 40 börsenkotierten Unternehmen unter die Lupe genommen. Das Resultat: Die Einkommen der CEO dieser grossen Firmen sind 2016 um 7 Prozent angestiegen. Demgegenüber verzeichneten die Löhne der Arbeitnehmenden im gleichen Jahr ein bescheidenes Wachstum von 0,7 Prozent. Mit dem Verweis darauf, dass die hohen und die tiefen Einkommen immer weiter auseinanderdrifteten, fordert die Gewerkschaft eine politische Debatte über die Managerlöhne.

Indem sie die Studie auf eine Auswahl von 40 der rund 580’000 Unternehmen in der Schweiz beschränkt, kultiviert die Unia Realitätsverweigerung. Die überwiegende Mehrheit unserer Firmenchefs bezieht ein vernünftiges Gehalt und keinerlei Bonus. Zudem: Die letzte Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigt, dass die Lohnunterschiede in unserem Land weiter abnehmen.

 

Die überwiegende Mehrheit unserer Firmenchefs bezieht ein vernünftiges Gehalt und keinerlei Bonus.

Die politische Debatte über die Managerlöhne hat bereits stattgefunden: Der Souverän hat die Volksinitiative «1:12 – Für gerechte Löhne» wuchtig abgeschmettert und gleichzeitig der Minder-Initiative «gegen die Abzockerei» zugestimmt. Letztere überträgt der Generalversammlung die Kompetenz, jedes Jahr über die Bezüge von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung zu befinden. Die Verantwortung zur Festlegung der Lohnpolitik der Manager liegt also bei den Aktionären und nicht bei den Parlamentariern.

Im Mai dieses Jahres sind die Resultate der sechsten Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen publiziert worden. Die Bilanz fällt erfreulich aus: 88 Prozent der schweizerischen Arbeitnehmenden zeigen sich zufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen. Nur 15 Prozent (gegenüber 24 Prozent in Europa) sind der Meinung, dass ihre Arbeit ihre Gesundheit oder Sicherheit gefährde. Dies bestätigt die Resultate anderer Untersuchungen von OECD und BFS.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund interpretiert diese Befunde indes auf seine eigene Weise: Die Risiken für die psychische Gesundheit der Arbeitnehmenden seien aufgrund einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im Anstieg begriffen. Diese verzerrte Sichtweise kündigt die Mutter aller gewerkschaftlichen Schlachten an: den Widerstand gegen die gelockerte Arbeitszeiterfassung, die in mehreren parlamentarischen Vorstössen verlangt wird. Die notwendige Revision des über 50 Jahre alten Arbeitsgesetzes, die in erster Linie die höheren Kader und Spezialisten betreffen würde, ist in den Augen der Gewerkschaftszentrale eine «eigentliche Demontage des Arbeitnehmerschutzes».