Betriebliches Gesundheitsmanagement: Die Kür kommt nach der Pflicht

6. Juni 2011 Meinungen

Massnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung sind eine freiwillige Ergänzung zu den gesetzlichen Arbeitsschutzverpflichtungen der Arbeitgeber. Sie bieten den Unternehmen personalpolitische Profilierungsmöglichkeiten und können dem Wohlbefinden der Mitarbeitenden zuträglich sein. Die für Arbeitgeber elementaren Grundlagen für sichere und gesunde Arbeitsplätze dürfen aber nicht vernachlässigt werden.

Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) zielt darauf ab, Krankheiten und Unfällen am Arbeitsplatz vorzubeugen, Gesundheitspotenziale zu stärken und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu verbessern. Mit Massnahmen wie etwa Stressbewältigungsprogrammen, Bewegungsangeboten, gesunder Ernährung, Workshops zur Konfliktbewältigung usw. versucht man, direkt oder indirekt das betriebliche und private Verhalten der Mitarbeitenden zu beeinflussen – respektive auf betriebliche (und sogar private) Verhältnisse im Sinne der Gesundheitsförderung einzuwirken.

Die strukturellen Grundlagen für einen nachhaltigen Erfolg der BGF werden durch die managementmässige Verankerung von Gesundheitszielen erreicht. Dabei spricht man von einem betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM). Im Vordergrund stehen dabei etwa Ziel- und Betriebsvereinbarungen, die Etablierung von Gesundheitszirkeln, die Klärung von Verantwortlichkeiten und nicht zuletzt die Bereitstellung der entsprechenden Budgets.

In ihrer Grundphilosophie strebt die Gesundheitsförderung primär die Unterstützung von Gesundheitsressourcen der Menschen an. Dabei wird vom Wissen und den subjektiven Erfahrungen mit der persönlichen Gesundheit der Betroffenen ausgegangen. Die betriebliche Prävention hingegen setzt auf objektives Expertenwissen, um Unfälle und Krankheiten zu verhüten. Die Herangehensweise in der BGF ist mit andern Worten eine sozialwissenschaftliche, diejenige der Prävention eine technische und medizinisch ausgerichtete.

Der Gratisapfel gehört nicht zum Arbeitsschutz
Der den Mitarbeitenden angebotene Gratisapfel aus dem regionalen Biobauernhof oder der Velotag («Bike to work») können als plakatives Symbole für einzelne BGF-Massnahmen genommen werden, während die Anordnung, auf Baustellen Schutzhelme zu tragen oder in Büros Bildschirme ergonomisch richtig einzustellen, für Präventionsmassnahmen aus dem traditionellen Arbeitsschutz stehen.

Massnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung ergänzen damit obligatorische Präventionsverpflichtungen der Arbeitgeber im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz und können aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein. Gerade mit Bezug auf psychosoziale Belastungen und stressbedingte Erkrankungen, bei denen keine eindeutigen Kausalzusammenhänge bestehen, kann der Ansatz der BGF neue Impulse bringen.

Anbieter von professionellen Dienstleistungen im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung versprechen den Unternehmen längerfristig etwa die Verbesserung von Image und Betriebsklima, eine Zunahme der Produktivität, Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit sowie die Senkung von Personalfluktuationen und unfall- respektive krankheitsbedingte Absenzen. Solche Effekte sind in Zeiten des Fachkräftemangels und einer zunehmend älter werdenden Erwerbsbevölkerung auch von volkswirtschaftlicher Bedeutung.

Gesundheitsförderung durch Firmen hat auch Grenzen
Allerdings gibt es auf dem einschlägigen Markt sehr viele und unterschiedliche Angebote. Die Palette reicht von Wellnesstagen bis zu umfassenden Gesundheits-Managementsystemen. Was für Massnahmen die Gesundheit der Mitarbeitenden aber wirklich wirksam fördern können, ist dagegen wissenschaftlich noch wenig erhärtet. Sind zum Beispiel betrieblich geförderte Massageangebote zweckmässig – oder einfach nur gut für die Stimmung? Hier besteht zweifellos noch Evaluierungsbedarf.

Sicher ist: Für den Erfolg und die Akzeptanz von Massnahmen sind die Freiwilligkeit und die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse des jeweiligen Betriebes entscheidend. Damit ist BGM auch klar als freiwillige Unternehmens- beziehungsweise Personalstrategie einzuordnen.

Die Eigenverantwortung muss im Zentrum stehen
Massnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung stossen auch an Grenzen. Eine an der sogenannten Ottawa-Charta orientierte Gesundheitsförderung, die auf ein umfassendes, körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden (!) auch bei der Arbeit abzielt, scheitert schlicht am Alltag und den ökonomischen Realitäten. Zentral ist und bleibt – auch bei einem systematischen betrieblichen Gesundheitsmanagement – die Eigenverantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit.

Auch wenn betriebliche Gesundheitsförderung für einzelne Unternehmen sinnvoll ist und Wirkungen zeigt, so dürfen die elementaren und objektiven Grundlagen von sicheren und gesunden Arbeitsplätzen keinesfalls in den Hintergrund gedrängt oder vernachlässigt werden. Zu diesen Grundlagen gehören die Bestimmungen zur Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten und zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Die Arbeitgeber sind verpflichtet, in ihren Betrieben auftretende Gefährdungen für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmenden objektiv zu ermitteln und die erforderlichen Schutzmassnahmen und Anordnungen nach anerkannten Regeln der Technik zu treffen. Entsprechende Schutzmassnahmen und Schutzeinrichtungen sind zudem regelmässig zu überprüfen.

Dabei ist nicht nur an die Situation auf dem Bau oder in der Industrie zu denken. Auch reine Büroarbeitsplätze bergen Unfallgefahren, und auch von nicht richtig eingerichteten Arbeitsplätzen können Gesundheitsbelastungen ausgehen. Man denke hier an die individuelle und ergonomisch richtige Justierung von Tischen und Stühlen oder die individuelle Einstellung von Computerbildschirmen. Auch Stolperunfälle oder Stürze – etwa im Betriebsarchiv – erscheinen in den Unfallstatistiken im Diensleistungssektor immer noch an prominenter Stelle.

Im Sinne der Prioritätensetzung bei knappen Ressourcen empfiehlt es sich, vorab die gesetzlichen Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutz-Massnahmen als Daueraufgabe in den Betrieben flächendenkend zu verankern. Für kleinere und mittlere Unternehmen bieten dabei die Branchenlösungen der Verbände praxisgerechte Unterstützung. Wer diese Pflicht erfüllt hat und dauerhaft zu erfüllen imstande ist, kann sich an die Kür – ein betriebliches Gesundheitsmanagement – wagen.