Spiegelfechterei um Rentenabbau bei Frauen

17. September 2021 News

Mit grossem Getöse rufen die Gewerkschaften zum Streik gegen einen angeblichen Abbau der Frauenrenten auf. Unterschlagen wird, dass die Gründe für die tieferen Frauenrenten gar nicht in der AHV liegen. Im Gegenteil: Mit der Gegenwehr der Frauen gegen die jetzige Reformvorlage drohen sogar neue Ungleichheiten. Ein genauer Blick tut not.

Die Reaktion kam prompt: Kaum hatte der Ständerat seine zweite Lesung zur Reform der AHV beendet, skandierten die Gewerkschaften «Rentenklau». Dabei hatte die kleine Kammer die Ausgleichsmassnahmen für die Frauenjahrgänge, die von der Angleichung des Rentenalters betroffen sind, gerade deutlich ausgebaut. Diese zusätzlichen Mittel für die Frauen werden der ohnehin schon unter chronischen Defiziten leidenden AHV in den nächsten 30 bis 35 Jahren weitere Kosten von gegen 600 Millionen Franken pro Jahr bescheren.

Die AHV wurde vor über 70 Jahren für eine Bevölkerung gebaut, die nicht nur einen deutlich geringeren Anteil an Personen im Rentenalter aufwies, sondern auch insgesamt eine tiefere Lebenserwartung hatte. Die seither stattfindenden demographischen Veränderungen haben die erste Säule zu einem Sanierungsfall gemacht, der sich durch die bevorstehende Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation noch akzentuieren wird. Die AHV ist aktuell schlicht nicht für eine Überalterung der Bevölkerung gebaut, wie sie sich gerade abzeichnet. Darum droht ohne massive Stützungsmassnahmen in zehn Jahren ein jährliches Defizit von 6 Milliarden Franken – mit steigender Tendenz.

Was im eigenen Portemonnaie gilt, trifft umso mehr auch bei der AHV zu: Finanzielle Nachhaltigkeit erreicht man einzig mit einem Gleichgewicht an Ausgaben und Einnahmen. Demnach kann eine Reform der ersten Säule nur gelingen, wenn an zwei Stellen gleichzeitig angesetzt wird. Zum einen müssen die Ausgaben durch strukturelle Einschnitte reduziert und, zum anderen, die Einnahmen wohldosiert erhöht werden. Offenkundig keine gute Idee ist eine Sanierung bloss über Mehrbeiträge, wie es der Linken beispielsweise über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorschwebt, denn gerade diese neuen Lasten führen zu Ungleichheiten. Warum? Gemäss verschiedenen Untersuchungen der eidgenössischen Steuerverwaltung treffen Anpassungen der Mehrwertsteuer die Haushalte unterschiedlich stark. Während Personen mit niedrigen Einkommen einen vergleichsweise hohen Anteil ihrer Einnahmen für von der Mehrwertsteuer erfassten Konsum aufwenden, sinkt die Belastungsquote mit steigendem Einkommen. Gleiches gilt für alle denkbaren Alternativen: Höhere Lohnbeiträge, Steuererhöhungen oder auch Zuschüsse aus der Bundeskasse belasten die Bevölkerung ebenfalls unterschiedlich und schaffen damit neue Ungleichheiten.

Insofern ist die Mehrwertsteuer eine ungerechte Konsumsteuer. Darum muss jede Erhöhung wohlüberlegt und gut abgewogen sein. Die Arbeitgeber haben seit Beginn der AHV-Debatte klargemacht, dass das Optimum bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,3 Prozentpunkte liegen dürfte. Zusammen mit den bereits beschlossenen strukturellen Massnahmen liesse sich die AHV damit für knapp zehn Jahre finanziell stabilisieren. Für die Zeit danach muss unweigerlich eine nächste Reform beschlossen sein.

Die Gewerkschaften scheinen diese Zusammenhänge vollständig auszublenden. Lieber streuen sie den Frauen Sand in die Augen, indem sie aus angelblich zu tiefen Ausgleichszahlungen für eine Anpassung des Rentenalters einen «Rentenklau» konstruieren. Dieser Vorwurf hält einem Faktencheck nicht ansatzweise stand. Erstens gibt es nachweislich keine Diskriminierung der Frauen in der AHV. Dank dem Splitting – also dem Aufteilen der Einkommen bei verheirateten Partnern -, Erziehungsgutschriften und Zuschlägen für Verwitwete sind die Renten aus der ersten Säule für Frauen und Männer praktisch gleich hoch. Zweitens lohnt sich eine Weiterarbeit im Alter finanziell praktisch immer. Durch zusätzliche Beitragsjahre und eine höhere Lohnsumme steigt in der Regel die Rente in der AHV; gleiches gilt für die zweite Säule mit höherem Sparkapital und Umwandlungssatz. Hinzu kommen der zusätzliche Verdienst und die von den Räten beschlossenen Ausgleichsmassnahmen. Drittens werden in der zweiten Säule, wo Frauen wegen anderer Erwerbsbiographien oftmals weniger ansparen als Männer, solche Rentenunterschiede im Rahmen einer eigenen Reform gelöst, die auch die Arbeitgeber unterstützen.

Angesichts dieser Tatsachen sollte allen reformwilligen Kräften klar sein, dass eine verzerrte Debatte und das Mobilisieren der Gewerkschaften unter dem Deckmantel der Frauenrenten die wahren Ungleichheiten verschleiert. Ehrlicher wäre, sowohl Frauen als auch Männer gegen eine zu drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer protestieren zu lassen, als einen «Rentenklau» vorzugaukeln.