Déjà-vu bei der AHV-Reform

12. März 2018 Meinungen

Als Bundespräsident Alain Berset die Eckpunkte des Bundesrats zur Reform der AHV präsentierte, wähnte sich so mancher Beobachter im falschen Film. Leider scheint es sich dabei aber nicht um einen vielversprechenden neuen Streifen zu handeln, sondern bloss um die Neuinszenierung eines zuvor gefloppten Werks. Das Drehbuch beginnt identisch: Wie schon bei der an der Urne abgestürzten Altersvorsorge 2020 legt die Landesregierung zum Auftakt eine massive Erhöhung der Mehrwertsteuer vor. Ob es ihr damit ernst ist? Eher sieht es danach aus, als ob der Bundesrat die heisse Kartoffel – erneut – dem Parlament weitergeben will. Denn dieses wird erneut problemlos eine viel moderatere Steuererhöhung beschliessen. So vergiftet der Bundesrat mit seinem Vorgehen schon zu Beginn der dringend nötigen Reform das Klima.

Doch nicht nur das: Der Bundesrat verschliesst auch die Augen vor den strukturellen Herausforderungen einer alternden Bevölkerung. Die Alterung in der Gesellschaft führt zu einem immer grösser werdenden Finanzloch in der AHV, das der Bundesrat praktisch ausschliesslich einnahmeseitig mit einer Mehrwertsteuererhöhung von bis zu zwei Prozent stopfen will. Ganz im Gegensatz dazu hat die Schweizer Stimmbevölkerung die Demografie verstanden und innert Jahresfrist sogar zweimal der süssen Versuchung eines Rentenausbaus widerstanden. Die VOTO-Analyse zur Abstimmung über die Reform Altersvorsorge 2020 sowie die neuste Vimentis-Umfrage zeigen überdies, dass eine Erhöhung des Rentenalters weiter an Akzeptanz gewinnt. Wer einen kleinen Teil der längeren Lebenszeit dafür hergibt, um länger zu arbeiten, trägt damit seinen Anteil zu sicheren Renten bei und hinterlässt diese stark wachsende Last nicht ausschliesslich den nachfolgenden Generationen.

Die steigende Lebenserwartung wirkt sich jedoch nicht nur auf die Finanzierung der Renten aus, sondern auch auf den Arbeitsmarkt. Sie bilden zwei Seiten derselben Medaille: Die bevorstehende Pensionierungswelle der Babyboomer führt dazu, dass dem Schweizer Arbeitsmarkt bereits in zehn Jahren Fachkräfte im Umfang von bis zu einer halben Million Vollzeitstellen fehlen werden. Mittelfristig ist deshalb eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters über 65 hinaus nicht nur erforderlich, um die Renten zu sichern, sondern auch, um dem sich zuspitzenden Fachkräftemangel entgegenzuhalten. Denn mit der Zuwanderung lässt sie sich nicht mehr ausreichend decken. Jede unbesetzte Stelle wiederum bedeutet weniger Lohnbeiträge für die AHV und wird damit die Finanzlücke zusätzlich vergrössern. Es ist fatal, wenn die Landesregierung diesen fundamentalen Zusammenhang ignoriert.

 

Gouverner, c’est prévoir.

Zwar ist noch nicht genau abschätzbar, wie gross die Finanzlücke im Jahr 2030 tatsächlich ausfällt und wie lange wir bis dann wirklich arbeiten. Doch gilt auch hier: «gouverner, c’est prévoir». Für die AHV braucht es deshalb jetzt eine ausgewogene Lösung, also einen ersten mehrheitsfähigen Schritt zur mittelfristigen Sicherung der Renten. Mit Rentenalter 65/65 und einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,6 Prozentpunkte wird dieses Ziel erreicht. Ab etwa Mitte der 2020er-Jahre muss in einer zweiten Etappe das Rentenalter schrittweise und gut planbar der steigenden Lebenserwartung angepasst werden. Der exakte Zeitpunkt und die Ausprägung der Rentenaltererhöhung können getrost erst nach 2020 ermittelt werden, denn sie hängen ab von Faktoren wie dem Wirtschaftswachstum oder der Migration.

Einzig dieses Vorgehen garantiert einen sachgerechten Umgang mit der anspruchsvollen Herausforderung der demografischen Alterung. Statt sich aber wie das europäische Ausland ernsthaft mit dieser Tatsache auseinanderzusetzen und der inzwischen dafür sensibilisierten Bevölkerung reinen Wein einzuschenken, entledigt sich der Bundesrat des leidigen Dossiers auf die teuerste Art und Weise: mit einer gewaltigen Erhöhung der Mehrwertsteuer «auf Vorrat». Dass er damit bereits in wenigen Jahren gravierenden strukturellen Problemen gegenübersteht, ficht ihn nicht an.