SVP-Initiative setzt Bilaterale I aufs Spiel

26. Juli 2011 News

Die SVP hat ihre angekündigte Volksinitiative «gegen Masseneinwanderung» lanciert; damit soll die Schweiz «die eigenständige Steuerung über die Zuwanderung» zurückgewinnen – und völkerrechtliche Verträge, die diesem Ansinnen widersprechen, anpassen. Der Schweizerische Arbeitgeberverband lehnt die Initiative ab. Deren Annahme würde die Personenfreizügigkeit mit der EU aufs Spiel setzen – und damit die wichtigste Standortstärkung für die Schweiz der letzten 20 Jahre.

Über 330‘000 Personen sind laut SVP in den letzten vier Jahren offiziell mehr in die Schweiz ein- als ausgewandert, was für die Schweizer Volkswirtschaft und Gesellschaft gravierende Folgen habe. Als Hauptgründe dafür nennt die Partei die Einwanderung aus der EU, die offenen Grenzen und die verschleppten Probleme im Asylbereich. Um diese ungebremste Zuwanderung zu stoppen, habe man die Volksinitiative «gegen Masseneinwanderung» lanciert. Der Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern würde durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente für alle Bewilligungen des Ausländerrechts unter Einbezug des Asylwesens begrenzt. Völkerrechtliche Verträge, die dagegen verstossen, müssten gemäss Initiativtext neu verhandelt und angepasst werden.

Angriff auf die Personenfreizügigkeit
Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) spricht sich dezidiert gegen die SVP-Initiative aus. Sie gefährdet das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU – und wegen der Guillotine-Klausel gleich die ganzen Bilateralen I. Die Verantwortlichen der Initiative fordern zwar nicht die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens, sondern nur dessen Anpassung, doch ist das Augenwischerei. Denn wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass der EU-Rat, alle 27 EU-Staaten und das EU-Parlament bereit sind, Einschränkungen der Personenfreizügigkeit mit Kontingenten und Inländervorrang zu akzeptieren? Die Initianten nehmen die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens in Kauf und riskieren damit, dass die Schweiz den diskriminierungsfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt verliert und ihr Verhältnis zur EU in einer «Bittsteller»-Position neu verhandeln muss.

Laut Initianten werden die Folgen der ungebremsten Zuwanderung auf Wirtschaft, Wohnungswesen, Infrastrukturen und Sozialwerke immer offensichtlicher. Dabei zeigen die Berichte des «Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen Schweiz–EU» sowie die Aussagen vieler Unternehmer:

  • Die Zuwanderung folgt der Entwicklung und den Bedürfnissen der Wirtschaft. Die Personenfreizügigkeit füllt wachstumshemmende Lücken des schweizerischen Arbeitsmarkts;
  • sie ergänzt das inländische Arbeitskräfteangebot und hat nur marginale Verdrängungseffekte;
  • die Lohnentwicklung und die Lohnstrukturen wurden durch die Zuwanderung nicht signifikant beeinflusst. Bei den unteren Lohnklassen ist kein genereller Lohndruck festzustellen, und der leicht dämpfende Effekt in den höheren Lohnklassen ist sozialpolitisch unbedenklich;
  • die Öffnung des Schweizer Arbeitsmarkts für EU-Arbeitskräfte führt nicht zum «Sozialtourismus», und insgesamt sind die neuen Zuwanderer bedeutende Nettozahler in die 1. Säule. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat ausgerechnet, dass die AHV-Rechnung dank der Zuwanderung um mehrere Milliarden besser ist, als ohne Zuwanderung. Die Personenfreizügigkeit verschafft der Schweiz also etwas mehr Zeit für die Revision der AHV.

Initiative gefährdet Attraktivität der Schweiz als Arbeitsort
Die Rückkehr zum Kontingentsregime auch für EU-Bürger wäre eine Rückkehr zu mehr Bürokratie und zu einer erhöhten Entscheidungsunsicherheit – sowohl für die Unternehmen als auch für die ausländischen Arbeitskräfte. Die Allokation der Arbeitskräfte würde durch behördliche Entscheidungen statt durch die Nachfrage der Unternehmungen gesteuert. Mit einseitigen Regeln könnte zudem der Zugang der schweizerischen Arbeitskräfte zum europäischen Arbeitsmarkt nicht sichergestellt werden, und ohne Freizügigkeitsabkommen entfielen auch die europaweit geltenden Regeln über die Koordination der Sozialversicherungen und die Diplomanerkennung. Die Mobilität der qualifizierten schweizerischen und ausländischen Arbeitskräfte, die immer häufiger in verschiedenen Gastländern tätig sind, würde dadurch entscheidend behindert. Während andere Länder besondere Massnahmen einleiten, um im weltweiten «war for talents» attraktiver zu werden, soll die Schweiz ihre Attraktivität als Arbeitsort mit dem Rückfall in alte Regulierungsmuster wieder in Frage stellen.

Aus all diesen Gründen lehnt der SAV die SVP-Initiative ab. Gleichzeitig übersieht der SAV keineswegs die Begleiterscheinungen der Personenfreizügigkeit auf dem Immobilienmarkt, bei der Belastung der Infrastruktur oder im gesellschaftlichen Bereich. Diese Begleiterscheinungen müssen jedoch mit einer guten Politik abgefedert werden – anstatt das Herzstück unserer Migrationspolitik aufs Spiel zu setzen.