Lücken beim Personal und Erträge

20. Mai 2011 News

Untersuchungen zeigen, dass der Mangel an Fachkräften und qualifiziertem Personal in der Schweiz zunimmt. Besonders betroffen sind die Bereiche Technik und Informationstechnologie respektive Industrie, Bau und Dienstleistungen. Die Zahl der Unternehmen, die Probleme bei der Rekrutierung melden, steigt. Bei einem anhaltenden Aufschwung könnte das zu Produktionsengpässen und Ertragsausfällen führen.

Die Meldungen über Engpässe bei gut qualifiziertem Personal in vielen Branchen der Schweizer Wirtschaft häufen sich. Neuste Studien und Indikatoren weisen zudem darauf hin, dass sich der Fachkräftemangel zuspitzt. Das belegt etwa das Beschäftigungsbarometer, das vom Bundesamt für Statistik publiziert wird: Danach hat der Anteil der befragten Firmen, die im Rahmen der Beschäftigungsstatistik (Besta) «Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von gelernten Arbeitskräften» melden, bereits im 4. Quartal 2010 klar zugenommen. Das gilt vor allem für den Maschinenbau, in dem 54,4% der Firmen Probleme melden – rund ein Viertel mehr als ein Jahr zuvor. Aber auch im verarbeitenden Gewerbe (rund 40%), in der Informations- und Kommunikationstechnologie (36 bis 40%) oder in der Finanz- und Versicherungsbranche (44%) wird das Problem akuter.

Grosse Lücke im MINT-Bereich
Die Zahlen bestätigen den Bericht des Bundes zum «Mangel an MINT-Fachkräften in der Schweiz», der vom EDI im September 2010 publiziert wurde. Der Bericht konstatiert, dass ein Mangel an Spezialisten in den Sektoren Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) herrsche und dass die «Fachkräftelücke» – etwa bei Informatikern und Bau- oder Maschineningenieuren – bei einem Aufschwung grösser werde. Für 2009 bezifferte die Studie diese Lücke im Bereich IT und Technik auf rund 8000 fehlende Arbeitskräfte, im Bauwesen auf 4200 und in der Chemie, Biotechnologie und Gesundheit auf 1000. Insgesamt fehlten rund 14 000 Spezialisten. Damit konnte jede 9. Stelle im MINT-Bereich nicht besetzt werden. Gemäss der Studie ist der Fachkräftemangel zudem ein strukturelles Problem – und nicht nur konjunkturabhängig. Das heisst: Das Angebot von MINT-Fachkräften in der Schweiz ist erheblich kleiner ist als die Nachfrage, weil zu wenig Leute ausgebildet und für den Arbeitsmarkt verfügbar werden. Auf rund 10 000 Stellen beziffert der Bund diese «strukturelle Lücke».

Vehement bekräftigt wurde der Fachkräftemangel in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) von der Stiftung IT-Berufsbildung Schweiz und vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie. Sie stellten in einer Analyse fest, dass der Schweizer Wirtschaft bis 2017 rund 32 000 IKT-Fachkräfte fehlen werden. Ohne Gegenmassnahmen werde der Mangel «dramatisch», kommentierte die Stiftung im November. Von den Engpässen betroffen seien vorab Banken, Versicherungen und Dienstleister, die rund zwei Drittel der IKT-Fachkräfte beschäftigen. Ähnliche Signale kommen auch aus der Uhrenbranche und dem Spitalbereich.

Auch KMU betroffen
Dass der Fachkräftemangel auch kleine und mittlere Unternehmen beschäftigt, zeigt das neuste KMU-Barometer des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens Ernst & Young. Die halbjährliche Studie basiert auf der Befragung von 700 KMU mit 30 bis 2000 Mitarbeitenden in sieben Regionen der Schweiz. Zentrale Ergebnisse der Studie vom Januar: Über 70% der KMU beurteilen die Verfügbarkeit von Fachkräften als kritisch. Jedes fünfte empfindet es sogar als «sehr schwer», qualifiziertes Personal zu finden. Die grössten Probleme haben Firmen in den Sektoren Industrie, Handel, Bau und Dienstleistungen. Fast zwei von drei Firmen glauben zudem, dass sich das Problem künftig noch verschärfen wird.

Als Ursachen orten die Firmen Lücken in der Aus- und Berufsbildung, die demographische Entwicklung, aber auch die mangelnde Bereitschaft, ältere Fachkräfte oder Personal aus anderen Kulturen zu beschäftigen. Laut Ernst & Young ist aber nicht primär der Mangel an Bewerbern für viele Firmen ein Problem, sondern der Fakt, dass die Bewerber häufig dem Anforderungsprofil nicht entsprechen. Deshalb sei es nur scheinbar paradox, dass es trotz Arbeitslosigkeit einen Fachkräftemangel gebe. Insbesondere KMU drohen laut Ernst & Young im Wettbewerb um Talente ins Hintertreffen zu geraten. Grund: Grosse Unternehmen seien besser gerüstet, Top-Leute und Hochschul-Absolventen anzuwerben – dank ihrem Image, höheren Löhnen, attraktiven Standorten und Karrieremöglichkeiten.

Mögliche Massnahmen
Was für Massnahmen sind denkbar, um die drohenden Engpässe bei qualifizierten Arbeitskräften zu entschärfen? Das EDI betont in der Stellungnahme zum MINT-Bericht die bescheidene Zahl der Studienabschlüsse in technischen Bereichen und den ausgesprochen tiefen Frauenanteil. Hier gelte es anzusetzen. Der Bundesrat empfehle, das Technikverständnis in der Volksschule zu fördern, den Übergang in die Tertiärstufe zu verbessern und Massnahmen für die Chancengleichheit im Hochschulbereich zu prüfen. Bisher habe der Arbeitsmarkt auf das knappere Angebot und den steigenden Bedarf vorab mit höheren Löhnen und mehr Rekrutierung im Ausland reagiert.

In der Informations- und Kommunikationstechnologie wollen die Organisation ICT-Berufsbildung Schweiz, der auch Credit Suisse angehört, und der Dachverband der Informatikbranche, ICT Switzerland, die Zahl der Ausbildungsplätze in Unternehmen und in der Verwaltung bis 2017 auf rund 3000 verdoppeln. Mit Bund und Betrieben sollen Massnahmen ergriffen werden, damit mehr Junge ausgebildet und die Ausbildungen rascher auf neue Anforderungen abgestimmt werden. ICT Switzerland fordert zudem die Einführung des Fachs Informatik in der Volksschule.

«Gefragt sind Konzepte und Kreativität»
Für das Beratungsunternehmen Ernst & Young ist es wichtig, dass auch KMU rasch Gegensteuer geben. «Es reicht nicht, über fehlende Fachkräfte zu klagen und nach der Politik zu rufen», meint Viktor Bucher, Partner und Mitautor des KMU-Barometers. Gefragt seien Konzepte und Kreativität: Ob innerbetriebliche Weiterbildung, Kooperationen mit Hochschulen oder anderen KMU, flexible Arbeitszeiten – es gebe viele Möglichkeiten, wie Unternehmen ihre Attraktivität steigern könnten. Laut Ernst & Young sollte die Wirtschaft zudem das zum Teil brachliegende Potenzial der über 50-Jährigen besser nutzen und einen Perspektivenwechsel weg von Frühverrentungsstrategien vollziehen.