Stehlen sich Bundesrat und Parlament bei der IV-Sanierung aus der Verantwortung?

12. August 2019 News

10 Milliarden Franken konnte die Invalidenversicherung in den Jahren 2004 bis 2016 dank Massnahmen zur beruflichen Eingliederung einsparen. Den Löwenanteil der IV-Sanierung leisteten damit die Arbeitgeber – und zwar auf freiwilliger Basis.

«Die Neuausrichtung ‹Eingliederung vor Rente› und der Ausbau der beruflichen Eingliederung sind eine finanzielle Erfolgsgeschichte»: Der jüngste Bericht der IV-Stellen-Konferenz (IVSK) bestätigt damit das grosse Engagement des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV) und seiner Mitglieder. Die Verantwortlichen machen in der Studie «Wirtschaftlichkeit der 4./5./6. IVG-Revision» deutlich, dass die Verschuldung der IV ohne berufliche Eingliederungsmassnahmen fast doppelt so hoch wäre. Kurzum: «Die Investition in die berufliche Eingliederung lohnt sich für die IV in allen Belangen – gesellschaftlich, sozialpolitisch und finanziell», heisst es seitens der IVSK. In Zahlen gesprochen, sparte die IV jährlich allein dank Optimierungen in der beruflichen Eingliederung mehr als 750 Millionen Franken. Zwischen 2004 und 2016 waren dies fast zehn Milliarden Franken.

Auch bei der Neurentenquote sind aufgrund der Investitionen in Massnahmen zur beruflichen Eingliederung positive Entwicklungen auszumachen: Von 2004 bis 2007 ging die Anzahl der Verrentungen um über 15 Prozent zurück, von 2008 bis 2016 gar um mehr als 30 Prozent. Den Löwenanteil zu dieser Erfolgsgeschichte trugen die Arbeitgeber auf freiwilliger Basis und aus Überzeugung bei. Das anerkannt grosse Engagement der IV-Stellen hätte ohne die gute Zusammenarbeit mit der Wirtschaft nicht zum Erfolg geführt. Die Arbeitgeber tragen mit ihrem grossen Engagement wesentlich zur Erhaltung der Arbeitsmarktfähigkeit von Menschen mit Beeinträchtigung und zur beruflichen Wiedereingliederung bei.

Politik schreckt vor nötigen strukturellen Massnahmen zurück

Dennoch schieben Bundesrat und Parlament die nachhaltige Sanierung der IV immer mehr hinaus. Ursprünglich wurde der Schuldenabbau bis 2024 versprochen – nun gehen die jüngsten Projektionen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) davon aus, dass dieses Ziel sogar erst 2032 erreicht werden kann. «Dies liegt vor allem daran, dass Bundesrat und Parlament die Situation immer wieder beschönigen und vor den erforderlichen strukturellen Massnahmen zurückschrecken», betont Martin Kaiser, SAV-Ressortleiter Sozialversicherungen und Sozialpolitik.

Der Ball liegt beim Ständerat

Diesen Eindruck der Arbeitgeber konnten die bisherigen Beschlüsse zur Weiterentwicklung der IV des Bundesrats und des erstbehandelnden Nationalrats nicht entkräften. Statt die notwendigen Sanierungsmassnahmen anzugehen, wollen sie den schwarzen Peter den Arbeitgebern zuspielen. Unter dem wohlklingenden Titel «Zusatzvereinbarungen», wobei es sich effektiv um eine «Quote Light» handelt, soll zusätzlicher Eingliederungsdruck auf die Wirtschaft gemacht werden.

Angeblich sollen auch finanzielle Zuwendungen der IV zur Förderung der beruflichen Eingliederung möglich werden. Diese Unterstützung ist insbesondere zur Verbesserung praxistauglicher Prozesse und zur besseren Koordination der verschiedenen Beteiligten zwingend nötig. Nicht alles könne den Arbeitgebern delegiert werden, sagt Kaiser: «Aber ausser einem Lippenbekenntnis fehlen konkrete Zahlen. Nicht einmal Aussagen über die Höhe eines finanziellen Engagements finden sich in den Materialien zur Revision. Quoten oder quotenähnliche Regelungen sind definitiv nicht zielführend.» Es ist zu hoffen, dass die zuständige Ständeratskommission diese Woche das Heft grundsätzlich in die Hand nimmt.