Die Europäische Sozialcharta: gefährlich und nutzlos

28. August 2015 Meinungen

Kann die Schweiz die Europäische Sozialcharta (ESC) ratifizieren? So lautete die Frage, die der aussenpolitischen Kommission des Ständerats (APK-S) gestellt wurde. Nach Anhörung von Experten hat die APK-S entschieden, nichts zu entscheiden…

Zur Erinnerung: Die ESC ist ein internationaler Vertrag, der schon seit Jahren in regelmässigen Abständen immer wieder auf die Bundesagenda gesetzt wird. Der 1976 vom Bundesrat unterzeichnete Vertrag wurde vom Parlament nie ratifiziert. Und das aus gutem Grund: Der aus 31 Artikeln zusammengesetzte Vertrag zielt darauf ab, die wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen der Vertragsparteien reglementarisch zu harmonisieren, indem Individuen Rechte in so unterschiedlichen Bereichen wie Arbeit, Gesundheit, sozialer Schutz, Erziehung und Wohnen zugestanden werden.

Will man der sehr kurz gehaltenen Pressemitteilung vom vergangenen 18. August Glauben schenken, hat die angesehene parlamentarische Kommission den Bericht des Bundesrats vom Juli 2014 – ohne Stellung zu beziehen – zur Kenntnis genommen. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Schweiz aus rechtlicher Sicht in der Lage wäre, die minimalen Ratifizierungsbedingungen der ESC zu erfüllen. Mit anderen Worten: Die Schweiz könne sechs der neun Artikel des harten Kerns der Charta akzeptieren.

 

Eine Ratifizierung der Sozialcharta würde unserem Land keinen Mehrwert bringen.

Wir hätten erwartet, dass die Parlamentarier eine kritische Würdigung des unvollständigen Berichts vornehmen würden, der die Konformität der 22 Zusatzbestimmungen der ESC mit dem Schweizer Recht nicht ausreichend berücksichtigt. Angesichts des schwierigen Umfelds, in dem sich die Schweizer Wirtschaft zurzeit befindet, hätten wir uns zumindest etwas Mut vonseiten der APK-S erhofft, die sich in der Mehrzahl aus bürgerlichen Parlamentariern zusammensetzt. Wenn es stimmt, dass die Politik die Kunst ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen, hätten sich die Parlamentarier – unabhängig von den Schlussfolgerungen im Bericht des Bundesrats – deutlich gegen die ESC aussprechen müssen.

Eine Ratifizierung der ESC würde unserem Land keinen Mehrwert bringen. Was soll der Artikel 1 «Recht auf Arbeit» in einem von Arbeitslosigkeit gebeutelten Europa Gutes bewirken? Die Charta zu ratifizieren bedeutet auch, sich auf unbekanntes Gelände zu begeben: Die in der ESC festgeschriebenen Rechte bilden nämlich Gegenstand einer weitreichenden Auslegung vonseiten der Kontrollorgane der ESC, die oft keine Rücksicht nimmt auf nationale Eigenheiten der Vertragspartner. Vor allem würde eine Ratifizierung dieses internationalen Vertrags aber bedeuten, die liberale Ausrichtung unseres Sozialsystems und unseres Arbeitsmarktes in Frage zu stellen.