«Der Staat muss beim Kinderbetreuungs-Angebot endlich vorwärts machen»

2. August 2018 Medienbeiträge
Von Simon Wey

Während Deutschland auf Gratis-Kitas setzt, harzt es in der Schweizer Betreuungs-Debatte. Nun machen die Arbeitgeber Druck: Es sei eine Staatsaufgabe, ein attraktives Krippen-Angebot bereitzustellen, findet Simon Wey vom Verband.

Die Arbeitgeber sind unglücklich über die Krippensituation in der Schweiz. Warum?
Das Kinderbetreuungs-Angebot in der Schweiz ist nachweislich ungenügend – und vor allem zu teuer. Warum sollten Mütter ihr Pensum auch erhöhen, wenn der Krippenplatz für das Kind den zusätzlichen Lohn gerade wieder wegfrisst? Der Staat muss bei der Bereitstellung von qualitativ und finanziell attraktiven Krippen und Tagesschulen endlich vorwärts machen!

Krippenfinanzierung als Staatsaufgabe? Für einen Mann der Wirtschaft sind das ungewohnt etatistische Töne.
Auf den ersten Blick mag das so scheinen. Allerdings würde das Geld ja nicht à fonds perdu ausgegeben – im Gegenteil. Wird das Betreuungsangebot verbessert, gehen die Frauen mehr arbeiten und erzielen höhere Einkommen. Das führt zu höheren Steuereinnahmen und zu Wirtschaftswachstum. Alleinerziehende wären seltener auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen, die Chancengerechtigkeit unter den Kindern würde erhöht. Es flösse mehr Geld in die AHV und in die Pensionskassen. Weiter würde die Schweiz auch für die dringend benötigten Fachkräfte attraktiver.

Sie sagen also: Der Staat würde das investierte Geld locker wieder reinholen.
Mehr als das. Eine Studie aus den USA, die sich mit Betreuungsangeboten für Kinder aus sozial schwachen Familien beschäftigte, zeigt, dass jeder investierte Dollar siebenfach zurückkommt. In der Schweiz mag der Effekt nicht ganz so krass ausfallen, weil die Sozialstruktur eine andere ist. Vielleicht käme das Zwei- oder Dreifache zurück. Nur schon ein Verhältnis von 1:1 entspräche einer hundertprozentigen Rendite – besser kann ein Staat sein Geld fast nicht anlegen.

Dann dürften Sie derzeit neidisch nach Deutschland blicken: In Berlin ist der Kita-Besuch ab August für alle Kinder gratis, auch andere Bundesländer peilen eine solche Lösung an. Wie wollen Sie es schaffen, dass die Schweiz nachzieht?
Moment, der Arbeitgeberverband fordert keine Gratis-Krippen! Das würde schlicht nicht zum Schweizer Staatsverständnis passen. Kinderkriegen ist am Ende immer noch Privatsache. Alles, was wir sagen, ist: Die finanzielle Belastung muss deutlich sinken, sodass es insbesondere für Mütter finanziell kein Nullsummenspiel mehr ist, arbeiten zu gehen.

Werden Sie konkret: Angenommen, ein Krippenplatz kostet pro Tag 100 Franken. Wie viel davon soll die öffentliche Hand zahlen? Die Hälfte, drei Viertel?
Es wäre unseriös, wenn ich mich jetzt auf eine Zahl festlegen würde. Bei den Tagesschulen könnte man argumentieren, dass diese ja eigentlich eine Erweiterung der Volksschule darstellen, welche ohnehin vom Steuerzahler finanziert wird. Bei den Krippen muss sichergestellt werden, dass Kinder aus bildungsnahen und bildungsfernen Schichten das Angebot gleichermassen nutzen können. Denn dies ist ein weiterer Pluspunkt: Frühkindliche Betreuung verbessert die Chancengerechtigkeit massiv. Werden Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien früh gefördert, verbessern sich ihre Karriereaussichten und es wird unwahrscheinlicher, dass sie später staatliche Unterstützung benötigen.

Sie rühren ja ganz schön die Werbetrommel. Ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt wirklich so desolat – oder warum hat das Thema für die Arbeitgeber plötzlich Priorität?
Schauen Sie sich die Zahlen doch einmal an: Die Zuwanderungszahlen sind seit Monaten rückläufig! Seitdem die Wirtschaft in der EU wieder läuft, kehren viele Hochqualifizierte in die Heimat zurück. Zudem gehen wegen der demografischen Entwicklung zunehmend Arbeitskräfte in Pension. Den Arbeitgebern fehlen dadurch Fachkräfte, die sie dringend benötigen. Der Schuh drückt ziemlich arg, keine Frage. Gleichzeitig sehen wir, dass 8 von 10 Müttern in der Schweiz nur Teilzeit beschäftigt sind, oftmals in sehr kleinen Pensen. Sie sind grösstenteils sehr gut ausgebildet, und viele von ihnen würden laut Befragungen gern mehr arbeiten. Auch Männer mit Kindern wünschen sich vereinzelt höhere Pensen.

Warum stellen die Arbeitgeber denn nicht selber ein Betreuungsangebot auf die Beine? Die Waadtländer Firmen zeigen, dass das geht: Sie finanzieren Krippen-Plätze über einen Fonds mit.
Wie gesagt: Die Finanzierung ist aus unserer Sicht Sache der öffentlichen Hand. Schliesslich profitiert der Staat im grossen Stil von besseren Drittbetreuungsangeboten – direkt und indirekt. Allerdings ist es ganz und gar nicht so, als ob die Arbeitgeber heute untätig wären: Viele Firmen lancieren auf freiwilliger Basis Betreuungsangebote, auch weil sie wissen, dass ihnen dies im Kampf um Talente einen Attraktivitäts-Vorteil verschafft.

Für ihre Mission wollen die Arbeitgeber nun die grossen Parteien ins Boot holen. Glauben Sie tatsächlich, dass sich in der emotionalen Frage der Kinderbetreuung ein gemeinsamer Nenner finden lässt?
Zunächst einmal geht es darum, einen gemeinsamen Willen zum Ausdruck zu bringen. Dass es in den Detailfragen Diskrepanzen geben wird, liegt in der Natur der Sache. Im November findet ein erstes Treffen statt, bisher haben wir – abgesehen von der SVP – aus allen Parteien Zusagen.

Derzeit streitet das Parlament darüber, ob die Anschubfinanzierung für neue Krippenplätze weitergeführt werden soll. Die Wirtschaftspartei FDP will das Programm genauso stoppen wie die SVP. Ist es nicht etwas paradox, dass die Arbeitgeber in der Frage auf die Linken hoffen müssen?
Dass die SVP der Fremdbetreuung von Kindern kritisch gegenübersteht, wissen wir. Die Freisinnigen lehnen eine weitere Anschubfinanzierung vor allem aus ordnungspolitischen Überlegungen ab. Sie finden, die Kantone und Gemeinden seien dafür zuständig. Der Arbeitgeberverband vertritt hier eine pragmatischere Haltung: Gibt es denn ein liberaleres Anliegen als die Chancengerechtigkeit für Eltern und Kinder?

Wie stehen Sie eigentlich zur Idee eines Eltern- oder Vaterschaftsurlaubs? Auch diese Massnahme würde gemäss den Befürwortern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern.
Wir unterstützen die freiwilligen Bemühungen der Unternehmen, in ihren Betrieben nach ihren Möglichkeiten einen bezahlten Vaterschaftsurlaub einzuführen. Eine gesetzliche Einheitslösung für einen Vaterschaftsurlaub – wie sie von der hängigen Volksinitiative verlangt wird – lehnen wir hingegen dezidiert ab. Insbesondere, weil sie auch über Arbeitgeberbeiträge finanziert werden soll. Gerade KMU mit nur wenigen Mitarbeitenden verfügen nicht über die gleichen organisatorischen Möglichkeiten für einen Vaterschaftsurlaub wie Grossunternehmen. Ein Vaterschaftsurlaub hat zudem keinen nachhaltigen Effekt auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Ist diese Haltung nicht etwas kurzsichtig? Schliesslich führt der Elternurlaub im Idealfall dazu, dass sich Mutter und Vater die Kinderbetreuung gleichberechtigter aufteilen und beide dem Arbeitsmarkt erhalten bleiben.
Allenfalls im Idealfall. Kehren die Mutter und der Vater nach dem Elternurlaub aber wieder zu ihren alten Rollen zurück, ändert sich an den Pensen von Mann und Frau nichts. Ziel müsste sein, dass die Erwerbstätigkeit insgesamt ansteigt.

Das Interview mit Simon Wey ist auf dem Newsportal Watson erschienen.