Dunkle Wolken am Konjunkturhimmel schränken Spielraum für Löhne ein

1. September 2022 News

Die Lohnforderungen der Gewerkschaften überschlagen sich und sind mittlerweile rekordverdächtig. In Anbetracht diverser wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten stellt sich aber in erster Linie die Frage, wie viel Spielraum die Unternehmen bei der Erhöhung von Löhnen haben.

Die Lohnverhandlungen zwischen den Sozialpartnern in den Branchen sind in vollem Gange. Bereits seit Anfang Jahr übertreffen sich die Gewerkschaften mit immer höheren Lohnforderungen. Jüngst forderte Travail.Suisse bis zu fünf Prozent mehr Lohn über alle Branchen hinweg. Vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten warnen die Arbeitgeber schon länger vor überzogenen Lohnforderungen. Insbesondere die wirtschaftlichen Verwerfungen als Folge des Ukraine-Kriegs haben die bis dahin florierende Wirtschaft aus dem Tritt gebracht.

Zwischenzeitlich werden die Bedenken der Arbeitgeber durch handfestes Zahlenmaterial gestützt. So sank etwa der Wert des KOF-Konjunkturbarometers im August bereits zum vierten Mal in Folge und liegt inzwischen deutlich unter dem langfristigen Mittelwert. Das der wirtschaftlichen Entwicklung vorauslaufende Barometer sagt damit eine empfindliche Abschwächung der Konjunktur in den nächsten Monaten voraus. Die Analysen im druckfrischen SAV-Beschäftigungsbarometer zeigen, dass auch die Betriebe die Geschäftslage mittlerweile nicht mehr so euphorisch einschätzen wie noch in den Monaten davor.

Die Gründe für die wirtschaftliche Abkühlung sind vielfältig und unterscheiden sich von Branche zu Branche. Nach wie vor ist der Geschäftsgang in vielen Betrieben durch die stark steigenden Rohstoff- und Energiepreise sowie Lieferkettenprobleme stark beeinträchtigt. Der wirtschaftlichen Entwicklung ebenfalls nicht förderlich sind die Leitzinserhöhungen in wichtigen Absatzmärkten der exportorientierten Industrie. Sie wirken wohl der Teuerung entgegen, bremsen gleichzeitig aber auch die Konjunktur. So befindet sich etwa die USA technisch gesehen bereits in einer Rezession und auch in vielen anderen europäischen Ländern hat sich die Konjunktur spürbar abgekühlt. Weitere Zinsschritte – auch der Schweizerischen Nationalbank – sind wahrscheinlich, denn die geldpolitische Normalität liegt nach wie vor in weiter Ferne.

Zunehmend verunsichert sind die Unternehmen auch aufgrund der sich abzeichnenden Energiemangellage. Treten die schlimmsten Szenarien des Bundes ein, so hätte dies für viele Betriebe einschneidende Konsequenzen. Noch bleibt Zeit Vorkehrungen zu treffen, um zumindest die gravierendsten Szenarien abzuwenden. Eine weitere Unbekannte für die Betriebe ist der weitere Verlauf des Krieges in der Ukraine, wobei eine erneute Eskalation das Potenzial hätte, die bereits bestehenden wirtschaftlichen Verwerfungen weiter zu verschärfen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wie viel Spielraum die Unternehmen bei der Erhöhung von Löhnen haben. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH stellt zu dieser Frage seit kurzem Zahlenmaterial bereit und hat ihre regulären Konjunkturumfragen um die Frage der erwarteten Lohnerhöhungen ergänzt. Dabei zeigt die Auswertung der Juli-Umfrage, dass die Erhöhung der Bruttolöhne mit der Preisentwicklung kaum Schritt halten dürfte. Diese Erkenntnisse sind vor dem Hintergrund der vielen Unsicherheiten, mit denen sich die Unternehmen konfrontiert sehen, nicht weiter erstaunlich.

Der mit Abstand stärkste Treiber der Reallöhne ist die Arbeitsproduktivität. Ein Blick auf die Entwicklungen von Reallöhnen und Arbeitsproduktivität zeigt, dass sich diese beiden Grössen in den letzten Jahren nahezu perfekt parallel entwickelt haben (vgl. Abbildung). Profitiert von steigenden Reallöhnen haben die Arbeitnehmenden insbesondere ab 2009, als die Teuerungsrate während mehrerer Jahre negativ war.

Wohl würde ein Ausgleich der Teuerung die Kaufkraft der Konsumentinnen und Konsumenten stärken, was auch im Interesse von Arbeitgebern wäre. Bei dieser Argumentation geht jedoch vergessen, dass die momentane Teuerung grossmehrheitlich importiert ist. Die Margen als Folge der höheren Preise fliessen also auch nicht in die Kassen der Unternehmen. Ganz im Gegenteil: Die Unternehmen müssen beim Erwerb von Vorprodukten und Energie tiefer in die Tasche greifen. Der Wettbewerbsdruck in vielen Branchen führt auch dazu, dass Unternehmen die Preise kaum ohne negative Konsequenzen auf den Geschäftsverlauf erhöhen können. In der Konsequenz sinken ihre Margen und schlussendlich auch ihr Spielraum für Lohnerhöhungen.

Der befürchtete Anstieg der Krankenkassenprämien ist bedauerlich und ist alles andere als im Interesse der Arbeitgeber, jedoch liegt es an der Politik die Ursachen der Preisentwicklung anzugehen und so den zukünftigen Anstieg der Prämien nachhaltig anzugehen. Die Forderung an die Arbeitgeber, die Prämienexplosion durch Lohnerhöhungen zu kompensieren ist verfehlt, da dadurch nur die Symptome einer verfehlten Politik bekämpft würden.

Die Arbeitgeber kämpfen zurzeit mit vielen Unwegsamkeiten. Neben den wirtschaftlichen Turbulenzen macht ihnen auch die Ungewissheit mit Blick auf den Ukraine-Krieg und die befürchtete Energiemangellage zu schaffen. Bereits früh warnten die Arbeitgeber vor überzogenen Lohnforderungen, denn am Ende können die Betriebe nur so viel Lohnerhöhung an die Arbeitnehmenden auszahlen, wie für sie ohne Gefährdung des zukünftigen Geschäftserfolgs – und der Stellen in den Betrieben – finanziell machbar ist. Die bisherigen Forderungen der Gewerkschaften blenden diese Realitäten weitestgehend aus.