Staat soll sich zurückhalten

26. Oktober 2015 Medienbeiträge

Die Digitalisierung ist eine der grundlegenden Triebkräfte der gegenwärtigen Wirtschaftsentwicklung, die durchaus die Kraft einer dritten industriellen Revolution in sich trägt. In einem solch dynamischen Strukturwandel kann der Staat kurzzeitig und dosiert zwar richtige Anreize setzen. Eine Hauptrolle muss ihm aber verwehrt bleiben. Zu gross ist die Gefahr des Staatsversagens.

Der amerikanische Ökonom und Gesellschaftstheoretiker Jeremy Rifkin ist ein brillanter Denker und einer der einflussreichsten Kulturkritiker. Er ist überzeugt, dass die Welt an der Schwelle einer industriellen Revolution steht. Solche Veränderungen, welche die Grundfesten von Gesellschaft und Wirtschaft erschüttern, treten zwar höchst selten auf. Aber wenn sie kommen, haben sie ihre Grundlage zumeist in einer neuen Technologie. Das war bei der Erfindung der Dampfmaschine und der Mechanisierung der Welt zu beobachten, jetzt ist es mit der Digitalisierung von Informationen wieder der Fall.

Bereits heute – in der Frühphase des digitalen Zeitalters – können wir erkennen, dass sich neue Formen der Kommunikation entwickeln. Ausserdem entstehen, begleitet von Stichworten wie «Smart Grid» oder «Flyable», neue Formen der Energienutzung sowie bisher nicht gekannte Transport- und Logistikmechanismen. In dieser «dritten industriellen Revolution» wird sich das Internet, so die naheliegende Prognose, in ein Super-Internet der Dinge verwandeln, in dem das Kommunikationsnetz mit Energie- und automatisierten Logistiknetzen zu einem grossen System verbunden wird.

Es ist evident: Die Wirtschaft steht vor einschneidenden Umwälzungen. Welche Rolle fällt in einem solch grundlegenden Wandel dem Staat zu? Können staatliche Interventionen einen dynamischen Strukturwandel nicht nur begleiten, sondern sogar nachhaltig fördern? Die Antwort ist eine zweifache.

Zwar kann eine Volkswirtschaft in einem frühen Stadium der Digitalisierung, dessen Wachstum typischerweise faktor- und investitionsgetrieben ist, durch Anreize stimuliert werden. So kann die Politik knappes Kapital in ausgewählte Branchen lenken, die Risikobereitschaft stärken, den Erwerb ausländischer Technologien anregen oder die Neugründung von Unternehmen fördern. Spätestens wenn eine Volkswirtschaft vom frühen investitionsbedingten zum innovationsbedingten Stadium aufsteigt, müssen aber die Unternehmen zur eigentlichen Triebkraft der Entwicklung werden.

Wie zahlreiche Untersuchungen über einen längeren Zeitraum hinweg belegen, können nämlich selbst die erfolgreichsten staatlichen Programme zur Wirtschaftsförderung in der Praxis bestenfalls gemischte Ergebnisse vorweisen. Staatliche Bemühungen sind etwa ungeeignet, weil sie verspätet wirken oder zu allgemein ansetzen. Zudem sind einmal angelaufene Hilfsprogramme umso schwieriger wieder zu streichen, je einflussreicher Interessengruppen im politischen System mittun.

Die Mahnung an die Politiker ist also eindeutig: Bei einer hoheitlich verordneten Innovationspolitik ist die Gefahr von Fehlleistungen wegen des behördlichen (Nicht-)Wissens grösser als die Chancen einer stabilisierenden Steuerung der Wirtschaft – ausgenommen vielleicht im ersten Stadium eines strukturellen Wandels.

Bildungssystem anpassen

Ins Blickfeld für den Wohlstand von morgen gerät zwangsläufig ein anderes, erprobtes und bewährtes wirtschaftspolitisches Terrain. Eine der wichtigsten und zugleich traditionellsten Aufgaben des Staates bleibt, den Boden für Unternehmen zu bereiten, die im internationalen Wettbewerb bestehen können.

Für die kleine offene Volkswirtschaft Schweiz fundamental sind dabei etwa staatliche Initiativen zur Anpassung des Bildungs- und Forschungssystems an die technologischen Herausforderungen, die Stärkung des Wettbewerbs oder der Abbau bürokratischer Hemmnisse. Eine tragende Rolle spielen ausserdem ein gesunder Staatshaushalt und eine tiefe Staatsquote, weil Letztere in aller Regel mit einem stärkeren Wirtschaftswachstum einhergeht. Der Staat kann also in einem klar abgesteckten Rahmen bestenfalls die Rolle eines Katalysators übernehmen – getreu dem geflügelten Wort «So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig».

Der Artikel von Fredy Greuter ist in der Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» erschienen.