Reformarbeit ist Überzeugungsarbeit

24. September 2012 Meinungen

Die Reform der Altersvorsorge kommt nicht voran, und politische Resignation macht sich breit. Diese unheilvolle Tendenz muss gebrochen werden. Dabei sollte man sich an die Einsichten des Sozialwissenschaftlers Max Weber erinnern.

Es wird langsam zum Grundproblem der schweizerischen Sozialpolitik: Die Sozialversicherungen stehen unter zunehmendem finanziellem Druck, und vor allem die Altersvorsorge muss im Hinblick auf die demografischen Herausforderungen reformiert werden. Nach dem Scheitern der 11. AHV-Revision und nach den deutlichen Voten der Stimmberechtigten gegen die Anpassung des Mindestumwandlungssatzes im BVG hat aber viele Akteure der Mut für die Lösung der anstehenden Probleme verlassen. Das unheilverheissende Wort der «Reformblockade» wird mehr und mehr zum Schlüsselbegriff der Sozialpolitik.

Es besteht die Gefahr, dass wir der resignativen Suggestion dieses Worts erliegen. Sein fortwährender Gebrauch verführt dazu, sich von der aktiven Zukunftsgestaltung  zu verabschieden und die Verantwortung für die ungelösten Probleme der Sozialwerke «den anderen» oder – noch billiger – den kommenden Generationen zuzuschieben. Diese verhängnisvolle Tendenz zum politischen Fatalismus, welche den Reformwillen im Keime zu ersticken droht, muss gebrochen werden.

Auch ist die Zukunft der Sozialversicherungen für unser Land zu wichtig, als dass wir ihrer finanziellen Destabilisierung zusehen dürfen, bis ein genügend grosser Leidensdruck die Stimmberechtigten zur Akzeptanz von strukturellen Eingriffen zwingt. Wir müssen uns vielmehr mit rechtzeitigem Handeln sozialpolitische Gestaltungsspielräume bewahren, in welchen sinnvolle Lösungen möglich sind und undifferenzierte Kahlschläge vermieden werden können.

Vom Bohren harter Bretter
Max Weber wird oft mit der Aussage zitiert, die Politik sei das langsame Bohren von harten Brettern. Der berühmte deutsche Sozialwissenschaftler meint das aber keineswegs resignativ und macht in seinem Aufsatz «Politik als Beruf» noch eine wichtige Aussage zum Modus des Bohrens, die beim Zitieren häufig unterschlagen wird. Vollständig lautet sein Satz: «Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich». Das liest sich wie eine Handlungsanleitung zu Reformen in der Altersvorsorge, die mehr Chancen auf Erfolg haben, als die zurückliegenden Anläufe für die 11. AHV-Revision und die Anpassung des BVG-Mindestzinssatzes. Sie fordert von den Akteuren einen starken und leidenschaftlichen Einsatz ebenso wie den Sinn für das angemessene Timing und das richtige Mass. Dazu kommen muss noch der rechtzeitige Beginn der Reformarbeiten, denn die demografische Entwicklung lässt uns nicht mehr beliebig viel Zeit.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Aufbau von politischem Druck mit technokratischen Argumenten die Reform der Altersvorsorge kaum voran bringt. Zu gross ist in diesem Bereich die emotionale und häufig auch die finanzielle Betroffenheit der Stimmberechtigten, die dazu meistens das letzte und entscheidende Wort haben. Sie wollen von der Notwendigkeit der Reformen überzeugt werden. Sie wollen wissen, ob die anvisierten Reformziele richtig sind. Und sie wollen sicher sein, dass die Reformlasten fair verteilt werden.

Das sind zugegebenermassen hohe Reformhürden, die sich in unserer direkten Demokratie nur mit Überzeugungsarbeit überwinden lassen. Wer den Reformzug mit politischen Kraftakten beschleunigen will, der läuft Gefahr, ihn bei der nächsten Abstimmungskurve entgleisen zu lassen. Einen solchen (weiteren) Unfall können wir uns in der Altersvorsorge nicht leisten!