Der SGB-Chefökonom hat nachgerechnet

21. August 2015 Meinungen

Bereits Anfang Jahr rechnete der Schweizerische Arbeitgeberverband vor: Der bis Ende dieses Jahres auf 0,5 Lohnprozente erhöhte EO-Lohnbeitrag kann ab 2016 problemlos tiefer angesetzt werden. Auch 0,4 Lohnprozente reichen aus, um den Fonds der Erwerbsersatzordnung (EO) künftig ausreichend zu dotieren. Mit einer solchen Reduktion werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber in den nächsten fünf Jahren um zwei Milliarden Franken entlastet. Nach dem Frankenschock wäre das eine wichtige Massnahme im Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen! Der Ball liegt beim Bundesrat, der über die Senkung demnächst entscheiden muss.

Unerwartete Unterstützung für eine Senkung kommt nun vom Chefökonomen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Daniel Lampart musste zwar deutlich länger rechnen, doch das Warten hat sich gelohnt. Auch er kommt in einem Blogeintrag vom 18. August 2015 nun zum Schluss: Die EO-Beiträge können um 0,1 Prozentpunkte gesenkt werden.

Es ist wohl kein Zufall, dass der gewerkschaftliche Segen zu einer Senkung der EO-Lohnprozente unmittelbar nach dem Auftritt der vorberatenden Kommission (SGK-S) zur Reform «Altersvorsorge 2020» erteilt wird. Die SGK-S hat Anfang Woche einen Reformvorschlag vorgelegt, der in den Medien als Mitte-Links-Kompromiss bezeichnet wird. Was mag wohl Lamparts Meinungsumschwung bewirkt haben? Waren es etwa die Beschlüsse zur AHV, die ihn milder gestimmt haben? Immerhin feierte der Gewerkschaftsbund diese Woche aufgrund der Kommissionsergebnisse bereits den grossen Durchbruch: «Erster AHV-Ausbau nach zwanzig Jahren» waren jedenfalls die Schalmeienklänge der Linken. Oder waren es doch eher andere Anpassungen von Mitte-Links, für die man jetzt elegant eine wieder sprudelnde Finanzquelle umleiten könnte? Zur Beantwortung dieser Fragen müssen die neuen Vorschläge der ständerätlichen Kommission unter die Lupe genommen werden.

Die Kommission beschränkte sich bei der Stabilisierung der beruflichen Vorsorge auf die eigentliche Leistungskompensation infolge der unumgänglichen Senkung des Umwandlungssatzes. Damit folgte sie nicht dem Bundesrat, sondern weitgehend den Vorschlägen der Arbeitgeber, die im Jahr 2030 mit rund 1,6 Milliarden Franken zu Buche schlagen werden. Bei der AHV war sie hingegen umso grosszügiger: Die 70 Franken mehr AHV-Rente pro Monat für alle AHV-Neurentner und eine gegenüber heute um 5 Prozentpunkte höhere Ehepaarrente (für Neurentnerehepaare mit Maximalrente) kosten 1,4 Milliarden Franken im Jahr 2030. Zusammen mit den 1,6 Milliarden Franken für die erwähnte Leistungskompensation in der Zweiten Säule wird den Bürgern im Jahr 2030 also ein Check über rund 3 Milliarden Franken ausgestellt, der – notabene – über Lohnbeiträge in der Höhe von insgesamt gut 0,7 Prozent zu finanzieren sein wird. Gegenüber dem Ansatz des Bundesrats mit total 3,2 Milliarden Franken per 2030 oder knapp 0,8 Prozent Lohnbeiträgen ist das praktisch «ghupft wie gschprunge».

Einzig der Ansatz der Arbeitgeber – der sich auf die Erhaltung des Leistungsniveaus konzentriert und auf einen teuren Ausbau verzichtet – führt zu einer deutlich geringeren Belastung mit Kosten von knapp 1,5 Milliarden Franken per 2030 oder knapp 0,4 Prozent Lohnbeiträgen. Übrigens: Experten gehen davon aus, dass eine Verteuerung des Faktors Arbeit in der Höhe von 0,4 Prozent Lohnbeiträgen gut und gerne 80’000 Arbeitsplätze kosten kann, wie die NZZ kürzlich ausführte.

Der Chefökonom des SGB teilt in seinem Blog zwar die Berechnungen der Arbeitgeber zur EO. In der Reformvorlage zur Altersvorsorge rechneten diese allerdings falsch, meint er. Die Ständeratsvariante zur Kompensation (0,3 Lohnprozente) komme die Arbeitgeber nämlich billiger zu stehen als die bundesrätliche Variante (0,4 Lohnprozente). Zudem koste die Erhöhung der AHV-Rente nur 0,3 Lohnprozente, wobei lediglich 0,2 Lohnprozente erhoben werden müssten, da die EO-Beiträge ja (um 0,1 Prozentpunkte) gesenkt werden könnten. Interessant. Nur leider hat der Chefökonom seine Berechnung in diesem Fall etwas übereilt abgeschlossen und zu schnell in die Tasten gegriffen. Erstens stehen die aus der EO «frei» werdenden 0,1 Lohnprozente nicht für ein Wunschkonzert zur Verfügung, sondern müssen zwingend den Faktor Arbeit entlasten, um Arbeitsplätze zu sichern. Zweitens streicht die SGK-S gegenüber der bundesrätlichen Variante in der zweiten Säule gar nicht die Kompensation im Umfang von 0,4 Lohnprozenten oder gut 1,6 Milliarden Franken per 2030, sondern nur den beabsichtigten Leistungsausbau in gleicher Höhe. Diesen transferiert sie – wie oben beschrieben – kurzerhand in die AHV. Total bleibt es beim SGK-S-Paket somit bei 3 Milliarden Franken per 2030 für Kompensation und Leistungsausbau, gegenüber den 3,2 Milliarden Franken gemäss Bundesrat. Eben: «ghupft wie gschprunge»!

Zugegeben: Auf den ersten Blick sind die Kosten im Jahr 2030 um 0,1 Lohnprozente «günstiger» als in der Variante des Bundesrats. Aufgrund der demografischen Entwicklung steht aber erst nach dem Jahr 2030 die grösste Pensionierungswelle an. Darum werden die Kosten für den AHV-Ausbau von 1,4 Milliarden Franken bereits im Jahr 2035 auf 2,1 Milliarden Franken anschwellen. Dies würden dann unsere Ausgabenpolitiker wohl mit den nächsten 0,15 Prozent an Lohnbeiträgen übertünchen wollen. Da hat jemand die Rechnung ohne den Wirt gemacht.