Das starre Rentenalter ist überholt

5. September 2013 Meinungen

In der Schweiz gilt immer noch Rentenalter 64/65. Immer mehr Arbeitgeber und Arbeitnehmer pfeifen darauf.

Im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) erstellte Studien belegen: Gerade noch ein Drittel der Beschäftigten in der Schweiz hält sich an das starre Rentenalter 64/65 und scheidet exakt zu diesem Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben aus. Ein Drittel macht diesen Schritt früher. Viele von ihnen, weil sie es sich leisten können. Ihr Anteil war in den letzten Jahren jedoch stark rückläufig. Das durchschnittliche, «faktische» Rentenalter stieg innert weniger Jahre um nahezu ein Jahr auf über 64 Jahre für Männer und annähernd 63 Jahre für Frauen. Die Schweiz liegt damit europäisch an der Spitze.

Der Grund ist ein Phänomen, das sich verstärkt: Bereits ein Drittel der 65- bis 69-Jährigen generiert AHV-pflichtiges Einkommen und ist damit beruflich nach wie vor aktiv. Mit Ausnahme der schon vorher Selbstständigerwerbenden häufig nicht mehr vollzeitlich und im bisherigen Job. Viele aber beim alten Arbeitgeber, andere auch in einem anderen Umfeld. Zugegeben: Darunter sind viele privilegierte Beschäftigte. Doch machen diese kein Drittel aus. Dieses positive Phänomen hat sich also längst auf diverse Berufe und Gruppen ausgeweitet.

Klar ist: Die Bevölkerung altert massiv. Die Weltbevölkerung wächst von sieben Milliarden Menschen auf acht bis zehn Milliarden im Jahr 2050. Der Anteil der über 60-Jährigen soll von 800 Millionen auf über zwei Milliarden steigen. Besonders betroffen davon werden die Industrienationen sein. Kein europäisches Land wird bezüglich Bevölkerungsstärke mehr unter den 15 Topnationen sein. Für die Schweiz wird mit einer Zunahme der über 60-Jährigen von über 60 Prozent gerechnet. Uns trifft es besonders stark, und die Auswirkungen auf gesellschafts- und wirtschaftspolitisch zentrale Felder wie Arbeitsmarkt, Gesundheitspolitik und Sozialversicherungen werden massiv sein.

Der Arbeitsmarkt 2030 wird deshalb andere Anforderungen stellen. Wollen wir weiter Wachstum generieren, muss das Potenzial ansässiger Arbeitskräfte besser genutzt werden. Dies gilt besonders auch für ältere Arbeitnehmende. Denn: Wegen der weltweiten demografischen Trends ist klar, dass sich die Schweizer Wirtschaft nicht mehr darauf verlassen kann, den Arbeitskräftebedarf über Immigration zu lösen.

Bundesrat handelt zu zaghaft
Bei der Reform der Altersvorsorge geht es deshalb um mehr als Rentensicherung. Diese braucht vor allem eines: ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum. Die AHV finanziert sich vor allem über Lohnbeiträge. Der Bundesrat hat den Ball in den Leitlinien 2020 zur Reform der Altersvorsorge (zu) zaghaft aufgenommen. Er will wenigstens den Wechsel zu einem flexiblen Rentensystem; 65/65 soll als reines Referenz-Rentenalter gelten, das der korrekten Berechnung der Rente dient und den Bezug zwischen 62 und 70 Jahren ermöglicht.

Aufgrund der dargelegten Zusammenhänge und gesellschaftlichen Bedürfnisse reicht das aber nicht. Den von Arbeitnehmern und Arbeitgebern eingeleiteten Kulturwandel gilt es zu unterstützen, indem das Referenz-Rentenalter bis 2030 etappenweise weiter erhöht wird – und zwar jenseits von 65/65. Die Politik braucht nur noch die faktisch längst laufende Entwicklung gesetzgeberisch nachzuvollziehen. So sichern wir uns auch für die Zukunft die Basis für ein gesundes Wirtschaftswachstum und damit auch für sichere Renten!