«Die Jungen werden Rentner dritter Klasse»

18. September 2017 Medienbeiträge

Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt kämpft gegen die Rentenreform und verlangt andere Massnahmen. Er hofft, dass nach Didier Burkhalters Abschied ein anderer Wind im Bundesrat weht.

Für einmal scheinen Sie keinen Grund zur Klage zu haben. Die Arbeitslosigkeit ist tief und der Franken so schwach wie schon lange nicht mehr. Da freut sich der Exporteur!
Ja. Die Talsohle ist vermutlich durchschritten. Die Unsicherheit mit den Wahlen in Frankreich liegt hinter uns. Auch in Deutschland erwartet niemand einen Sieg von Kanzlerkandidat Schulz. Und klar, ein Euro-Kurs von 1,14 ist besser als einer von 1,08.

So richtig glücklich klingen Sie dennoch nicht.
Die grössten Böcke haben wir in meiner eigenen Firma auch nicht dann geschossen, als es schlecht lief, sondern dann, als es gut lief. Und so sehe ich durchaus politische Gefahren: in der Sozialpolitik, der Energiepolitik und der Beziehung zu Europa. Uns gehen die Herausforderungen nicht aus.

Ist die Politik daran, Böcke zu schiessen?
Wir haben in der Schweiz grundsätzlich noch gute Rahmenbedingungen, aber wir schneiden jedes Jahr ein kleines «Rädli» davon – wie bei einer Salami. Jedes Mal denkt man: Das ist ja nicht so schlimm, das ist nur ein «Salamirädli». Aber wenn man das zwanzig Jahre lang tut, hat man nur noch das Metallteil am Ende der Salami in der Hand. Das passiert schleichend.

Ist die Schweiz zu selbstgefällig geworden?
Der Wohlstand hilft auf jeden Fall nicht, Reformen voranzutreiben. Die Linken fragen sich nicht, wie man den Kuchen grösser macht, sodass jeder ein grösseres Stück bekommt. Sie wollen ihre Kuchenstücke zulasten der andern grösser machen. Wir brauchen Wachstum – qualitatives Wachstum.

In Regierung und Parlament ist die Mehrheit bürgerlich. Da können Sie eigentlich nicht den Linken die Schuld für den Reformstau geben.
Es gibt tatsächlich auch auf bürgerlicher Seite Nachholbedarf. Das ist auch unsere Hoffnung bei den Bundesratswahlen. Wir hatten im Bundesrat zuletzt Mehrheitsverhältnisse, die zu Ergebnissen wie der Lohnpolizei, der Frauenquote oder dem symbolischen Entscheid mit den Drittstaatenkontingenten geführt haben. Wie kann ein Bundesrat, in dem fünf Bürgerliche sitzen, so etwas beschliessen? Unsere Hoffnung ist, dass wir in der anstehenden Bundesratswahl vom 3:4-Verhältnis zu einem 4:3-Verhältnis wechseln.

Denn was einmal aus dem Bundesrat kommt, ist im Parlament schwer zu ändern. Das Grundproblem ist die Regierung?
Dort beginnt vieles. Aber dann geht es im Parlament weiter. Irgendeine der bürgerlichen Parteien hat bisher immer einen Grund zu einem Seitenwechsel gefunden. Bei der Umsetzung der Zuwanderungsinitiative hat sich die FDP mit der SP ins Bett gelegt, bei der Altersvorsorge die CVP mit der SP. Es ist an der Zeit, dass sich die Bürgerlichen wieder zusammenraufen.

Wie soll die bürgerliche Wende doch noch gelingen?
Der anstehende Wechsel im Bundesrat könnte ein Startschuss sein.

Ist der Bundesrat wegen Didier Burkhalter nach links gedriftet?
Nicht nur. Wir haben auch noch eine Energieministerin, die sich – wegen der Energiepolitik – in eine Abhängigkeit der Linken begab.

Wen hätten Sie denn von den drei FDP-Kandidaten am liebsten: Ignazio Cassis, Isabelle Moret oder Pierre Maudet?
Es liegt nicht an mir, Namen zu nennen. Das muss das Parlament entscheiden. Klar hätten wir gerne einen Unternehmer gehabt. Aber immerhin haben alle drei Kandidaten Führungserfahrung.

Heisst das, für die Wirtschaft macht es keinen Unterschied, welcher der drei Kandidaten gewählt wird?
Ich möchte wirklich keine Stellung zu den einzelnen Namen nehmen. Nur so viel: Wichtig ist, dass das neue Bundesratsmitglied mithilft, den Bundesrat wieder bürgerlicher zu machen.

Bundesrat Alain Berset ist derzeit im Abstimmungskampf um die Altersreform Ihr grösster Widersacher. Ärgert es Sie, wie stark sich Berset ins Zeug legt?
Ich finde es grundsätzlich ja gut, wenn sich der Bundesrat für seine Vorlagen einsetzt. Aber Bundesrat Berset geht eindeutig zu weit. Ich weiss auch nicht, wie er seine Regierungsgeschäfte bei diesem Abstimmungseinsatz noch wahrnimmt. Und was macht er, wenn er diese Abstimmung verliert? Er hat so stark Position für die Vorlage bezogen, dass er Mühe haben wird, selber glaubwürdig eine neue Reform aufzugleisen.

Ist es nicht positiv, wenn ein Bundesrat Kampfeswillen zeigt?
Bundesrat Berset hat das Mass überschritten. Ich habe noch nie erlebt, dass ein einzelner Bundesrat überall in der Schweiz in dieser Häufigkeit auftritt. Der Bundesrat gefährdet damit aus meiner Sicht seine Unabhängigkeit und seinen guten Ruf.

Bundesrat Berset sagt, dass die Jungen bald keine Rente mehr bekommen, wenn die Vorlage durchfällt.
Entschuldigung, aber das ist doch Unsinn. Gerade die vorliegende Reform belastet vor allem die Jungen und schiebt ihnen mit dem unterfinanzierten AHV-Ausbau für Neurentner einen ungedeckten Check in Milliardenhöhe zu. Der Bundesrat und das Parlament haben die Aufgabe, eine neue Reform aufzugleisen, wenn das Volk Nein sagt. Drohungen sind die falsche Antwort. Das Gute bei einem Nein ist: Es ist dann klar, dass das Volk keinen Ausbau der AHV will.

Die heutige Rentenbuchhaltung geht nicht mehr auf, weil die Leute immer älter werden. Jetzt kann man drei Dinge tun: mehr einzahlen, die Renten senken oder später in Rente gehen. Eine der Varianten muss man am Ende anwenden.
Rentensenkungen sind in unserem Land chancenlos. Wir müssen den Leuten darum aus meiner Sicht ehrlich sagen: Wenn ihr heute 45 seid, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass ihr dereinst länger arbeiten müsst. Jetzt aber mit Rentenalter 67 zu drohen, ist destruktiv.

Landen wir nicht ohnehin früher oder später bei Rentenalter 67?
Bei Annahme dieser Scheinreform früher, sonst später – weit nach 2030 –, weil der AHV-Ausbau den Druck auf ein höheres Rentenalter zusätzlich erhöht. Immerhin sind verschiedene Politiker der Mitte wie etwa Ruth Humbel (CVP) oder Lorenz Hess (BDP) so ehrlich und stehen dazu.

Braucht es nicht einen ersten Schritt? Die vorliegende Reform bringt doch den Pensionskassen eine Entlastung.
Die Leute sagen immer, das Problem liege in der zweiten Säule. Doch das stimmt nur bedingt. Das Hauptproblem betrifft die AHV. Viele Schweizer sind in einer überobligatorischen Pensionskasse versichert, die schon heute einen Umwandlungssatz anwenden kann, der deutlich unter dem gesetzlichen Minimum von 6,8 Prozent für den obligatorischen Teil liegt. Die Reform ist da einfach ein weiterer Schritt, der die Umverteilung in der zweiten Säule leicht senkt. Bei der AHV hingegen werden die strukturellen Probleme durch den Ausbau verschärft und die Umverteilung von Jung zu Alt vergrössert.

Das heisst: Ihr Plan B sieht vor allem Kürzungen in der AHV vor?
Nein, das Rentenniveau soll erhalten bleiben. Der Plan B sieht als Erstes vor, dass das Rentenalter 65 für Männer und Frauen gilt und die Mehrwertsteuer moderat erhöht wird, um die Finanzen der AHV zu stabilisieren. Weiter müsste der Mindestumwandlungssatz in der zweiten Säule gesenkt werden. Dafür braucht es eine Kompensation innerhalb der zweiten Säule – ohne Zustupf von 70 Franken, von der vor allem eine Generation profitiert.

Die ohnehin gut gebettete Generation zwischen 45 und 65 wird bevorteilt, um die Vorlage beim Volk durchzubringen?
Das ist leider so. Und daher schafft man nun nicht nur eine Zwei-Klassen-AHV, sondern sogar eine Drei-Klassen-AHV. Meine Generation der 45- bis 65-Jährigen fährt erste Klasse: Sie erhält die volle Kompensation innerhalb der zweiten Säule für die Senkung des Mindestumwandlungssatzes und zusätzlich als Zückerchen die 70 Franken an die AHV-Rente. Die heutigen Rentner fahren zweite Klasse, denn sie bekommen keinen AHV-Zustupf und müssen trotzdem mehr Mehrwertsteuer bezahlen. Den Jungen muss man mit der heutigen Reform sagen: Nach mir die Sintflut. Sie werden wegen des unterfinanzierten AHV-Ausbaus und der demografischen Entwicklung schon bald zusätzlich belastet und dereinst als Rentner dritter Klasse dastehen.

Aber offenbar bringt man eine Vorlage nicht ohne Geschenke durch.
Das sehe ich anders, zumal die letzten Ausbauvorhaben wie AHVplus auch abgelehnt wurden. Man muss endlich den Mut haben, mit den Leuten Klartext zu reden. Die Situation in der AHV wird sich schnell verschlechtern. Ich bin überzeugt, dass man dann auch echte Reformen durchbringt. Denn in den wesentlichen Punkten sind sich die vier Bundesratsparteien bereits heute einig.

Dauert das nicht viel zu lange?
Die Unternehmenssteuerreform zeigt, dass eine Zweitauflage auch schnell gehen kann.

Mit einem geschickteren Lobbying hätten Sie doch schon im Parlament mehr herausholen können. Warum haben Sie es nicht geschafft, die Reform in Ihre Richtung zu drehen?
Wir müssen der Gegenseite zugestehen: Die Gruppe um Bundesrat Berset hat das sehr geschickt aufgegleist. Sie sind bis zum Schluss kaum von ihrer Linie abgewichen. Das einzige Entgegenkommen – und das ist die Perversion des sogenannten Kompromisses – war, dass die Mehrwertsteuer statt um 1,0 Prozent nur um 0,6 Prozent erhöht werden soll. Das ist so, wie wenn Sie ins Restaurant gehen und ein Menu für 20 Franken bestellen, obwohl Sie nur 12 Franken im Portemonnaie haben. Eine solch unverantwortliche Politik können wir nicht mittragen.

Die Pensionskassen und viele andere Firmen unterstützen die Vorlage trotzdem.
Ich glaube, dieser Schein trügt. Nur weil der Pensionskassenverband die Vorlage befürwortet, heisst das noch lange nicht, dass alle Pensionskassen und Unternehmen diese Linie unterstützen. Klar stabilisiert die Senkung des Umwandlungssatzes die Finanzen der Pensionskassen ein wenig, aber dafür handeln sie sich mit dem neuen Koordinationsabzug und anderen Massnahmen in der zweiten Säule ein wahres Bürokratiemonster ein.

Wir reden darüber, das Rentenalter zu erhöhen. Zugleich steht auch die Aufstockung der Wochenarbeitszeit auf 70 Stunden auf der politischen Agenda. Müssen wir immer mehr und länger arbeiten?
Nein. Die Verbände unter dem Dach von Allianz Denkplatz Schweiz schlagen vor, dass künftig statt maximal 45 Stunden pro Woche eine entsprechende maximale Jahresarbeitszeit gelten soll. Dies soll jedoch nicht für alle Arbeitnehmer im Land gelten, sondern nur für Branchen, in denen es vorkommt, dass sie in kurzer Zeit enorm viel Arbeit bewältigen müssen.

Der oberste Wirtschaftsprüfer des Landes sagte kürzlich in einem Interview, Angestellte könnten problemlos 70 Stunden in der Woche arbeiten. Sehen Sie das auch so?
Diese Aussage war einer sachlichen Debatte nicht sehr dienlich. Denn am Schluss hiess es, die Wirtschaft wolle die 70-Stunden-Woche einführen. Vom Rest sprach danach keiner mehr. Dass dies in keiner Weise der Regelfall sein soll, wurde unterschlagen. Für mich zeigt das: Wir müssen dieses Thema mit Weitsicht angehen. Ich warne ausdrücklich davor, die Büchse der Pandora zu öffnen. Man muss unheimlich aufpassen, dass man die Würmer dann wieder zurück in die Büchse bringt.

Wovon sprechen Sie jetzt?
Unser Arbeitsrecht hat sich im Grossen und Ganzen bewährt. Es beinhaltet viele gute Regelungen, von denen auch die Firmen profitieren. Eine Gesamtrevision des Arbeitsgesetzes könnte sich da als kontraproduktiv erweisen. Viel besser ist es, punktuell einzelne unbefriedigende Regelungen anzugehen. Wichtig ist zuerst einmal, dass die Pflicht für die Erfassung der Arbeitszeit für leitende Mitarbeiter gelockert wird.

Geht es Ihnen darum, die Stempeluhr abschaffen?
Nein, auf keinen Fall. Heute kann aber nur ein Teil der Arbeitnehmer von einer Vereinfachung der Arbeitszeiterfassung profitieren, da es dafür einen Gesamtarbeitsvertrag braucht. Das wollen wir ändern.

Braucht die Wirtschaft nicht generell mehr Arbeitszeitautonomie?
Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit, wie Allianz Denkplatz Schweiz sie vorschlägt, erfasst wie gesagt bloss einen kleinen Teil der Arbeitnehmer. Für das Gros kommt diese Lockerung jedoch nicht infrage. Eine Krankenschwester, die im Spital Schicht arbeitet, fällt nicht unter diese Flexibilisierung der Arbeitszeit. Mit anderen Worten: Es handelt sich hier wirklich um ein Spezialanliegen, das aber keineswegs den ganzen Schweizer Arbeitsmarkt abbildet.

Aber viele Startups wären wohl geliefert, wenn sie die Regelungen des Arbeitsgesetzes einhalten würden.
Das Arbeitsgesetz ist dazu da, um Missbräuche zu verhindern. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht allzu formalistisch werden. Jede neue Regelung kreiert neue Bürokratie. Das wollen wir verhindern.

Das Interview mit Valentin Vogt ist in der Handelszeitung erschienen.