Lehrvertragsauflösungen: Es gibt keine einfachen Rezepte

20. Dezember 2017 Meinungen

Jeder fünfte Lehrvertrag wird vorzeitig aufgelöst. In einigen Berufen und Kantonen sind es sogar noch bedeutend mehr. Hat die Berufslehre ein Problem? Nein. Die allermeisten Jugendlichen steigen nach der Auflösung ihres Lehrverhältnisses rasch wieder in eine Ausbildung ein: in einem anderen Betrieb, einer anderen Branche oder einem anderen Beruf. Letztlich erreicht die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen in der Schweiz ihre Ausbildungsziele, wenn auch manchmal über Umwege.

Die Lehrbetriebe sind bemüht, Lehrverträge möglichst durchzuziehen: Niemand geht leichtfertig mehrjährige Verpflichtungen und persönliche Beziehungen ein, um diese rasch wieder zu stornieren. Lehrvertragsauflösungen kosten und bringen zudem Unruhe ins Unternehmen. Für die Jugendlichen ihrerseits sind es kritische Lebensereignisse und für das Bildungssystem Ineffizienzen: eine Verschwendung von Engagement, Zeit und Ressourcen. Es gilt also, unnötige Lehrvertragsauflösungen zu verhindern.

Auf der anderen Seite können Lehrvertragsauflösungen auch «Befreiungsschläge» darstellen und daher gewünscht sein. Dort, wo das Leistungsniveau zu hoch oder auch zu tief (!) angesetzt wurde oder die persönliche Chemie nicht stimmte, öffnen sie Raum für neue Lösungen. Der Zwang zur Umorientierung ist in der Lehre sicher grösser als in schulischen Systemen. Das fördert die rasche Bereinigung von unbefriedigenden Situationen.

Einfache Schuldzuweisungen sind fehl am Platz. Weder sind die «schlechten Ausbildungsbedingungen» in den Unternehmen noch die «ungenügenden Leistungen» der Schulabgänger als generelle Erklärungen tauglich. Die frappanten Unterschiede in der Zahl der Lehrvertragsauflösungen zwischen einzelnen Kantonen und Berufsfeldern sind wohl weniger bei den Lehrbetrieben und den Jugendlichen insgesamt begründet. Eine wichtige Rolle scheinen die kantonalen Bildungsstrukturen zu spielen, die beeinflussen, welche Jugendlichen überhaupt den Weg in eine Berufslehre finden. Zudem zeigt sich die grosse Heterogenität der Präferenzen und Möglichkeiten der Lernenden auch in der Wahl der Berufe.

Der Umgang mit den neuen Indikatoren des Bundesamts für Statistik erfordert von Bund, Kantonen, Verbänden und Lehrbetrieben vertiefte Überlegungen zu den Ursachen und Handlungsmöglichkeiten im eigenen Einflussbereich. Für die Unternehmen und ihre Verbände steht dabei zweifellos die Auseinandersetzung mit der Selektion von Lernenden, der Betreuungsqualität aber auch den Ausbildungsinhalten im Vordergrund. Die Volksschule ist aufgefordert, die Jugendlichen optimal bei einer gezielten Berufswahl zu unterstützen. Die Verankerung in den Lehrplänen ist das eine, die tatsächliche gute Umsetzung das noch entscheidendere. Die Bildungspolitik muss einer «Verschulung» der nachobligatorischen Ausbildung entgegenwirken. Dort, wo die berufliche Grundbildung lediglich zweite oder dritte Wahl ist, häufen sich die Probleme – und diese äussern sich in Lehrvertragsauflösungen.

 

Die Bildungspolitik muss einer «Verschulung» der nachobligatorischen Ausbildung entgegenwirken.

Hat die Berufslehre ein Problem? Nein. In der Quote der Lehrvertragsauflösungen spiegeln sich komplexe Phänomene und Wechselwirkungen. Die Bildungspolitik tut gut daran, sorgfältig mit diesem Thema umzugehen und die Rahmenbedingungen für Lehrbetriebe attraktiv zu halten.