Kontraproduktive «Qualifizierungs-Offensive»

8. September 2015 News

Geht es nach dem Nationalrat, soll der Bund während vier Jahren jährlich 50 Millionen Franken für Nachholbildungen einsetzen. Die Mittel würden aber andernorts in der Berufsbildung fehlen und wohl vor allem zu Lohnersatzzwecken aufgebraucht.

Der Nationalrat hat in der Herbstsession eine parlamentarische Initiative Müri gutgeheissen. Sie beauftragt den Bund, während vier Jahren jährlich 50 Millionen Franken in die berufliche Grundbildung zu investieren. Die Mittel sollen für die Nachholbildung und für Massnahmen zur  Berufsintegration verwendet werden. Dazu gehören etwa das Nachholen eines Berufsabschlusses, die arbeitsmarktorientierte Förderung der Grundkompetenzen oder Kurse für den Wiedereinstieg ins Berufsleben nach einem längeren Erwerbsunterbruch.

Die Nach- und Höherqualifizierung von Erwachsenen ist zwar für den Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV) sowohl aus arbeitsmarktlichen als auch sozialpolitischen Gründen ein wichtiges bildungspolitisches Anliegen. Allerdings lancierte der Bund in Zusammenarbeit mit interessierten Berufsverbänden dazu bereits verschiedene Projekte.

Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich der Vorstoss zudem als höchst problematisch. Bei Annahme des Vorschlags sind einerseits Finanzierungsprobleme in anderen Berufsbildungsbereichen («Kannibalisierung») zu befürchten. Anderseits kennt das Finanzierungssystem in der Berufsbildung bereits eine Vielzahl von höchst förderwürdigen Bereichen, darunter Berufsfachschulen, Vorbereitung von Jugendlichen auf die Grundbildung, Lehrabschlussprüfungen oder höhere Berufsbildung. Diese gilt es –  innerhalb des Finanzierungssystems des Berufsbildungsgesetzes – fein austariert und gezielt zu fördern. Einzelbeschlüsse wie jene des Nationalrats führen zu unerwünschten Verzerrungen.

Die parlamentarische Initiative würde zu einem bemerkenswerten und fraglichen Novum in der Bildungspolitik führen, indem Ausbildungsgelder faktisch zu einem Lohnersatz zweckentfremdet würden. Dies kann sehr hohe Kosten für die öffentliche Hand nach sich ziehen und führt hier insbesondere dazu, dass Bildungsgelder nicht für die eigentliche Bildung, sondern für den Erwerbsersatz verwendet werden. Es liegt jetzt am Ständerat, diese Fehlentwicklung zu korrigieren.