«Die Berufsbildung muss internationaler werden»

14. März 2017 Medienbeiträge

Valentin Vogt, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, ist ein Fan der Schweizer Berufsbildung. Gleichwohl plädiert er für mehr Internationalität.

Herr Vogt, können Sie heute beruflich das tun, wovon Sie als Jugendlicher geträumt haben?
Ja. Ich habe früh gemerkt, dass ich gerne Einfluss nehme und Verantwortung übernehme. Das war schon bei den Pfadfindern so. Zudem bin ich seit meiner Jugend fasziniert von grossen Bauten und Maschinen. Erst wollte ich Bauingenieur werden, wählte dann aber ein BWL-Studium mit Schwerpunkt Finanz- und Rechnungswesen. Das verschaffte mir eine gute Grundlage. Dann entschied ich mich für die Maschinenindustrie.

Eine Berufslehre kam für Sie nicht in Frage?
Doch, ich absolvierte eine Schnupperlehre als Vermessungszeichner. Aber mein Lehrmeister sagte mir: «Ich schätze es, dass du dich bei mir bewirbst, aber du gehörst an die Kantonsschule!»

Heute hat sich die Möglichkeit der Berufsmaturität etabliert.
Ja, unser Sohn hat eine Mediamatiker-Lehre gemacht, danach die Berufsmaturität. Jetzt arbeitet er in einer Software-Firma und es gefällt ihm dort. Unsere Tochter hat die Handelsmittelschule mit der Berufsmaturität abgeschlossen und anschliessend die eidgenössische Maturität absolviert. Nach dem Bachelor in Politik- und Kommunikationswissenschaften sammelt sie jetzt erste Berufserfahrung. Für Eltern ist das ideal: Ihren Kindern steht heute nach der Berufsmaturität eine akademische Karriere offen, sie können aber auch arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen.

Als Vater haben Sie mit der Schweizer Berufsbildung gute Erfahrungen gemacht. Auch als Arbeitgeber?
Absolut, ich bin ein grosser Fan der Schweizer Berufsbildung. Gute Akademiker gibt es überall auf der Welt, eine Berufsbildung in dieser Ausprägung aber nur in der Schweiz. Wenn Schweizer Ingenieure einen Prototyp entwickeln, haben wir hier gut ausgebildete Berufsleute, die ihn auch herstellen können. In Indien ist das deutlich schwieriger. Und in den USA brät die Hälfte der Bevölkerung Hamburger, fährt Taxi oder arbeitet in einem Job mit geringen Anforderungen. Die Kluft zwischen den gut Ausgebildeten und dem Rest der Erwerbstätigen ist in den USA enorm.

Was macht unser duales Ausbildungssystem besonders wertvoll?
Im Grunde ist es eine höchst erfolgreiche Public-private-Partnership zwischen dem Staat, den Kantonen, den Unternehmen und den Berufsverbänden. Die Leistung der Verbände hat man allerdings lange Zeit unterschätzt. Sie sind eine enorm wichtige Säule, weil sie die Berufsbilder prägen. Das heisst: Berufsleute aus den Betrieben definieren immer aufs Neue die fachlichen Lerninhalte, womit die Berufsbilder laufend an die veränderten wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden. Solche Berufsverbände gibt es in vielen Ländern nicht.

Die Digitalisierung gefährde bis zu 100’000 Stellen, rechnete der KV-Verband Ende 2016 vor. Wie muss die Berufsbildung darauf reagieren?
Ich sehe die Digitalisierung eher als grosse Chance, weil kaum ein Land so gute Voraussetzungen dafür mitbringt: Wir bilden bereits heute für die Digitalisierung relevante Berufsleute wie Informatiker oder Mediamatikerinnen aus. Wir verfügen auch über eine hervorragende Infrastruktur. In Sachen Anpassungen des Arbeitsmarktes haben wir jahrzehntelange Erfahrung, weil sich unsere Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in einem ständigen Strukturwandel befindet.

Also gibt es keinen Handlungsbedarf?
Doch, natürlich. Wir müssen die Berufsbildung verstärkt international ausrichten. Bei uns im Betrieb zum Beispiel können die beiden besten Lehrabgänger oder Lehrabgängerinnen in Polymechanik nach der Lehre ein halbes Jahr in unserem Werk in Indien arbeiten. In anderen Betrieben gehen sie schon während der Lehre ins Ausland. Im Kanton Zug gibt es einen Pilotversuch, bei dem junge Leute die gesamte KV-Lehre auf Englisch absolvieren.

Zudem müssen wir den Eltern klarmachen, dass eine Berufslehre ihren Kindern hervorragende Perspektiven bietet. Heute drängen immer mehr Jugendliche in die Gymnasien. Das verwässert unsere akademische Bildung, und auf der anderen Seite fehlen dann junge Leute für anspruchsvolle Lehrstellen. Beide Ausbildungswege müssen auf ihre Stärken bauen. Dazu braucht es eine Harmonisie¬rung der Aufnahmebedingungen für Gymnasien und der Kriterien für die Erlangung der Matura. Aber grundsätzlich mache ich mir um die Qualität der Berufsbildung wenig Sorgen. Unser System passt sich laufend neuen Umständen an. Zudem schauen wir voraus: Die Erarbeitung der Leitlinien für die Berufsbildung 2030 läuft auf Hochtouren.

Der Fachkräftemangel wird sich in der Schweiz gemäss vielen Prognosen laufend verschärfen. Kann die Berufsbildung etwas dagegen tun?
Sie macht schon sehr viel! Auf Zuwanderung wird die Schweiz allein aus demografischen Gründen immer angewiesen sein – sonst wird sich der Fachkräftemangel noch markanter verschärfen. Die Berufsbildung erbringt seit Jahrzehnten eine enorme Integrationsleistung: Es gelingt uns, über die Arbeit viele Jugendliche mit einem Migrationshintergrund in die Gesellschaft einzubinden. Dabei zeigt meine Erfahrung, dass ausländische Eltern bei Problemen mit Lernenden oftmals kooperativer sind als Schweizer Eltern.

Das Interview mit Valentin Vogt ist im Magazin «skilled» des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung erschienen.