Symbolpolitik mit wirtschaftlicher Sprengkraft

20. Oktober 2016 Meinungen
Von Simon Wey

Letzte Woche hat der Bundesrat die jährlichen Kontingente für die Zuwanderung von Drittstaatenbürgern in die Erwerbstätigkeit moderat um 1000 Einheiten erhöht. Damit ist er der Forderung der Wirtschaft und der Kantone nach einer Erhöhung der Kontingente auf das Niveau vor 2014 nur ungenügend nachgekommen. Gründe dafür können nur politischer Natur sein.

Zuwanderung ist nicht gleich Zuwanderung. In die Erwerbstätigkeit zuwandernde EU/EFTA-Bürger weisen ein breites Spektrum an Ausbildungsprofilen – von niedrig- bis hochqualifiziert – auf. Anders Personen aus Drittstaaten: Bei ihnen handelt es sich grossmehrheitlich um sehr mobiles, hochqualifiziertes Fachpersonal. Aus diesem Grund muss zwingend zwischen der Zuwanderung aus EU/EFTA-Ländern und derjenigen aus Drittstaaten unterschieden werden, was sich sowohl politisch als auch ökonomisch rechtfertigen lässt.

Politisch besteht bei der Zuwanderung aus Drittstaaten in die Erwerbstätigkeit parteiübergreifend ein breitabgestützter Konsens. Selbst die ansonsten zuwanderungskritische SVP anerkennt diese als absolut unerlässlich für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Dies aus gutem Grund, denn es ist wissenschaftlich alles andere als belegt, dass die Einschränkung der Zuwanderung von erwerbstätigen Drittstaatenbürgern zur besseren Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials beitragen würde. Ganz im Gegenteil legt der Observatoriumsbericht des Staatssekretariats für Wirtschaft nahe, dass die Besetzung von Schlüsselstellen mit hochqualifiziertem Personal nicht zu einer Verdrängung von, sondern vielmehr zu einer erhöhten Nachfrage nach inländischen Arbeitskräften führt. Können diese wichtigen Positionen nicht besetzt werden, müssen die Unternehmen Projekte und die damit verbundenen Stellen ins Ausland verlagern. Nicht die Senkung der Drittstaatenkontingente führt somit zu einer besseren Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials, sondern deren Erhöhung.

 

Nicht die Senkung der Drittstaatenkontingente führt zu einer besseren Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials, sondern deren Erhöhung.

Nicht zum ersten Mal wurde die Schweiz vor Kurzem vom World Economic Forum zum wettbewerbsfähigsten Land der Welt erkoren. Sie ist Sitz von zahlreichen international hochangesehenen Unternehmen, die massgeblich zur Wertschöpfung des Landes beitragen. Firmen wie Google, Novartis oder Nestlé, aber auch solche aus der Bankbranche und der MEM-Industrie setzen neue Massstäbe und zeichnen sich durch bahnbrechende Innovationen aus. Dadurch bewegen sie sich meist direkt an der Schnittstelle zur Wissenschaft und benötigen hochspezialisiertes Personal. Dieses wird teils an Eliteuniversitäten rekrutiert und verfügt über ein Expertenwissen, das sich im Schweizerischen und europäischen Arbeitsmarkt kaum finden lässt.

Dies könnte sich auf den Wirtschaftsstandort Schweiz drastisch auswirken, denn der Standortwettbewerb um die kompetitivsten Unternehmen verzeiht keine unbedachte Symbolpolitik. Diese Unternehmen ziehen bei der Evaluation von möglichen Standorten alle Eventualitäten in Betracht, wobei die Rechtssicherheit bei der Besetzung von offenen Stellen für hochspezialisiertes Fachpersonal unabdingbar ist. Müssen Unternehmen damit rechnen, dass sie ihre Innovationen mangels Kontingenten nicht wie gewünscht vorantreiben können, verliert der Schweizer Wirtschaftsstandort an Attraktivität.

Die Unsicherheit bei der Anstellung von Drittstaatenbürgern fügt sich nahtlos in eine Reihe von weiteren Herausforderungen ein, mit denen die Arbeitgeber in der Schweiz konfrontiert sind. So sind sie neben konjunkturellen und währungspolitischen Unsicherheiten auch Risiken mit Blick auf die Zuwanderung aus EU/EFTA-Ländern ausgesetzt. Denn obwohl sich im Parlament eine Lösung zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative abzeichnet, bleibt unklar, ob die EU diese vorbehaltlos akzeptieren wird.

Der Bundesrat betreibt mit seiner Entscheidung, die Kontingente nur moderat zu erhöhen, Symbolpolitik, die aus wirtschaftlicher Sicht jeder Logik entbehrt. Er spielt mit dem Feuer, denn sollten sich die vorsichtig optimistischen Wirtschaftsprognosen für das nächste Jahr bewahrheiten, so werden den Unternehmen Ende 2017 auch mit den erhöhten Kontingenten hochqualifizierte Drittstaatenbürger fehlen. Und selbst wenn sich die Wirtschaftsprognostiker für einmal täuschen sollten, sorgt der Bundesrat mit seiner Politik für zusätzliche Unsicherheit, die Unternehmen im momentan bereits angespannten wirtschaftlichen Umfeld zuletzt benötigen.