Studie für höheren Kündigungsschutz von Streikenden

8. Juli 2016 News

Im Auftrag des Bundesrats haben Wissenschaftler der Universität Neuenburg eine Studie zum Schweizer Streikrecht durchgeführt. Demnach sind streikende Angestellte in der Schweiz ungenügend vor Entlassung geschützt. Die Studienverantwortlichen sprechen sich deswegen für Massnahmen aus, die der Bundesrat bereits 2010 im Rahmen einer Konsultation verworfen hatte.

In seiner publik gewordenen Studie hat das Studienzentrum für Arbeitsbeziehungen der Universität Neuenburg (CERT) untersucht, wie weit Angestellte in der Schweiz geschützt sind, wenn sie rechtmässig von ihrem Streikrecht Gebrauch machen. Das Rechtsgutachten greift Fragen aus einer Klage auf, die der Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) im April 2013 bei der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) eingereicht hat.

Auslöser des hängigen Rechtsstreits waren Angestellte, die Ende 2012 in Ausstand traten, nachdem die Leitung des Providence-Spitals in Neuenburg den Gesamtarbeitsvertrag (GAV Santé 21) abgelehnt hatte. Als sich die Streikenden weigerten, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren, wurden sie entlassen. Sie gelangten daraufhin an die Schlichtungsstelle des Neuenburger Regionalgerichts, um die Kündigung anzufechten. Das Urteil steht noch aus.

Der VPOD hat den Entscheid der juristischen Instanzen im Inland nicht abgewartet. Stattdessen hat er im April 2013 eine Klage gegen die Schweiz beim Komitee für gewerkschaftliche Rechte der IAO wegen Verletzung der Übereinkommen Nr. 87 (Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechtes) und Nr. 98 (Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen) eingereicht. Die Gewerkschaft moniert einen ungenügenden Schutz von Streikenden vor missbräuchlichen Kündigungen. Das Schweizer Recht sieht bei Entlassung eine Entschädigung von mindestens sechs Monatslöhnen ohne Anspruch auf Wiedereinstellung vor.

In seiner Klage fordert der VPOD die Schweiz auf, ihre Gesetzgebung den IAO-Konventionen anzupassen. Dazu soll sie die Möglichkeit schaffen, den Arbeitgeber zur Wiedereinstellung eines zu Unrecht entlassenen Arbeitnehmenden zu verpflichten. Als Vorbild dient die entsprechende Bestimmung im Bundesgesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau (GlG).

Im März 2014 verabschiedete der Bundesrat seinen Bericht zur Beantwortung der VPOD-Klage. Da die Entscheide zum juristischen Verfahren und zur Abfindung der Entlassenen noch immer beim Neuenburger Gericht hängig sind, tat er gut daran, sich nicht zur Klage zu äussern. Er entschied jedoch, Experten mit einer vertieften Studie zur Ausübung des Streikrechts in der Schweiz zu beauftragen. Der Auftrag wurde schliesslich dem CERT der Universität Neuenburg vergeben.

Nach einer gründlichen Analyse der nationalen und internationalen Rechtsquellen zum Streikrecht, die zwischen zulässigen und unzulässigen Streiks differenziert, gelangten die CERT-Experten zum Schluss, die Schweiz kenne nur einen begrenzten Schutz für jene Arbeitnehmende, die wegen ihrer Beteiligung an einem legalen Streik entlassen wurden. Deswegen schlugen die Experten vor, den Schutz vor unrechtmässiger oder missbräuchlicher Kündigung zu verstärken, namentlich durch eine Erhöhung der Mindestsanktion von sechs auf zwölf Monatslöhne. Zudem sollten im Urteil der Autoren weitergehende Bestimmungen in Gesamtarbeitsverträgen oder Arbeitsverträgen erlaubt werden.

Wie der Bundesrat will der Schweizerische Arbeitgeberverband die Klage des VPOD nicht kommentieren, solange die rechtlichen Instanzen in der Schweiz noch nicht darüber befunden haben. Dennoch gilt es festzuhalten, dass die IAO-Konventionen 87 und 98, auf die sich die VPOD-Klage beruft, weder das Streikrecht noch dessen Modalitäten behandeln. Ausserdem gleichen die vom CERT formulierten Vorschläge zur Verstärkung des Kündigungsschutzes jenen, die der Bundesrat in seinem Vorprojekt zur Gesetzesrevision 2010 vorgebracht hatte. Diese Vorschläge stiessen damals in der Vernehmlassung auf breite Ablehnung.