Sozialplanpflicht: Nationalrat folgt Ständerat auf die schiefe Ebene

17. April 2013 News

Nach dem Ständerat hat nun auch der Nationalrat der Einführung einer Sozialplanpflicht für grössere Betriebe zugestimmt. Der Schweizerische Arbeitgeberverband bekämpfte diese Hypothek für die unternehmerischen Personalentscheide und befürchtet beschäftigungspolitische Schäden für die Schweiz.

Im Rahmen der Revision des Sanierungsrechts im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (SchKG) hat sich der Nationalrat dem Ständerat angeschlossen und der Einführung einer Sozialplanpflicht für Unternehmungen mit mindestens 250 Mitarbeitern zugestimmt. Wenn solche Unternehmen innert 30 Tagen mindestens 30 Arbeitnehmende entlassen, müssen sie nach den neuen Artikeln 335h bis 335k mit den Arbeitnehmenden einen Sozialplan aushandeln, das heisst Massnahmen festlegen, die Kündigungen vermeiden, deren Zahl beschränken sowie ihre Folgen mildern. Je nach der gesamtarbeitsvertraglichen Bindung der Unternehmung sind die Verhandlungen mit den Arbeitnehmerverbänden, den Arbeitnehmervertretungen oder direkt mit den Arbeitnehmenden zu führen. Können sich die Parteien nicht einigen, so muss ein Schiedsgericht den Sozialplan festsetzen. Dabei darf der Sozialplan jedoch den Fortbestand des Betriebs nicht gefährden.

Kritik des Schweizerischen Arbeitgeberverbands
Die Schweiz kennt heute keine gesetzliche Pflicht zur Erstellung eines Sozialplans, und diese Rechtslage hat sich sowohl für die Arbeitgeber wie für die Arbeitnehmer als vorteilhaft erwiesen. Das allein wäre für das Parlament Grund genug gewesen, die Sozialplanpflicht abzulehnen. Die Mehrheit des Nationalrats folgte jedoch dem Ständerat auf die schiefe Ebene und schlug die Warnungen des Schweizerischen Arbeitgeberverbands in den Wind. Dieser hatte die Neuerung konkret mit unter anderem folgenden Argumenten bekämpft:

  • Die Sozialpartner haben sich in manchen Gesamtarbeitsverträgen auf Regelungen über die Aushandlung von Sozialplänen geeinigt und gestützt darauf differenzierte «Sozialplan-Kulturen» entwickelt, welche den branchenspezifischen Bedürfnissen und Besonderheiten Rechnung tragen. Diese sozialpartnerschaftliche Steuerung der Massenentlassungs- und der Sozialplan-Frage ist der richtige Weg, um in einer schwierigen und stark von den unterschiedlichen Branchenverhältnissen geprägten Materie praktikable Lösungen zu finden. Sie wird nun mit einer gesetzlichen Regelung unterlaufen.
  • Die gesetzliche Sozialplanpflicht wird von ihren Befürwortern immer wieder als Entlassungshemmnis zur Vermeidung leichtfertiger Massenentlassungen empfohlen. Dieser Ansatz verweist in aller Deutlichkeit auf die ordnungspolitische Problematik eines solchen Eingriffs in den Arbeitsmarkt. Wie der Blick ins Ausland zeigt, führt die gesetzliche Sozialplanpflicht nämlich zu einer starken, sozialpolitisch nicht notwendigen Verteuerung von Restrukturierungsmassnahmen und damit zu einer erheblichen Beschränkung der Arbeitsmarktflexibilität. Unter dem Regime rigider Sozialplan-Verpflichtungen zögern die Unternehmen länger mit Personaleinstellungen, weil sie die Kosten später eventuell nötiger Abbaumassnahmen fürchten.
  • Der vorgelegte Entwurf wirft verschiedene Interpretationsfragen auf und öffnet ein weites Feld für rechtliche Auseinandersetzungen. Die Schwierigkeiten beginnen bei den Differenzen zu den quantitativen Regeln über die Massenentlassung (Art. 335d OR). Weiter ist nicht klar, wie sich die Sozialplan-Verhandlungspflicht des Arbeitgebers zu seiner Konsultationspflicht nach den geltenden Bestimmungen über die Massenentlassung (Art. 335f OR) verhält. Probleme bereitet sodann die Koordination der neuen Verhandlungsvorschriften mit bestehenden gesamtarbeitsvertraglichen Regeln über die «Abwicklung» von Personalmassnahmen, wobei eine Schwächung der Arbeitnehmer-Vertretungen zu befürchten ist.
  • Reichlich Konfliktstoff bieten vor allem die Fragen, welche Sozialplan-Massnahmen im konkreten Fall zu treffen sind und welche Belastungen der Betrieb ohne Gefährdung seines Fortbestands tragen kann. Im Rahmen einer eingespielten und pragmatisch orientierten Vertragspartnerschaft – zum Beispiel in der sehr sozialplanerfahrenen MEM-Industrie – sind diese Fragen lösbar. Fehlt dieser Rahmen aber, werden die Konflikte oft vor einem Schiedsgericht landen, das dann rasch unternehmerische Entscheide fällen sollte. Ob man mit den formalen Bestimmungen der Zivilprozessordnung, die nach dem Entwurf zu beachten wären, innert Monaten zu praxistauglichen Lösungen kommen kann, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass die Unternehmen langwierige Verfahren mit weitgehenden Konzessionen vermeiden wollen und deshalb in den Sozialplan-Verhandlungen von Arbeitnehmerseite unter Druck gesetzt werden können.

Schädlicher Flexibilitätsverlust
Die mit der gesetzlichen Sozialplanpflicht auf die Unternehmungen zukommenden Unsicherheiten und Belastungen werden der Flexibilität des schweizerischen Arbeitsmarkts schaden. Leidtragende sind zunächst die Unternehmen, dann aber vor allem die Arbeitnehmenden, die beim Einstieg oder bei der Rückkehr ins Erwerbsleben bedeutend zurückhaltenderen Arbeitgebern gegenüberstehen werden als heute.