Europäische Sozialcharta ist eine Falle

1. Dezember 2014 Meinungen

Das Stehaufmännchen der eidgenössischen Politik, die europäische Sozialcharta, kommt erneut aufs Tapet. Das internationale Abkommen, das unser liberales und erfolgreiches Wirtschaftsmodell gefährden könnte, muss unbedingt abgelehnt werden.

Die bereits mehrfach vom Parlament abgelehnte europäische Sozialcharta (ESC) kommt zurück auf die politische Agenda. Anfang Juli veröffentlichte der Bundesrat einen Bericht, gemäss dem die Schweiz aus rechtlicher Sicht die Anforderungen für die Ratifikation erfüllen würde. Das ist eine seltsame Kehrtwende: Hatte nicht derselbe Bundesrat in einem Bericht vom Februar 2013 noch verlauten lassen, dass die Ratifikation «in naher Zukunft juristische, politische oder praktische Probleme stellen würde»?

Die beim breiten Publikum wenig bekannte ESC ist ein Abkommen des Europarats, das im Jahr 1961 erarbeitet und 1996 revidiert und ergänzt wurde. Das Abkommen zielt darauf ab, die wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen der Vertragsparteien schrittweise zu harmonisieren. Es gesteht den Individuen eine ellenlange Liste von Rechten zu, und das in so unterschiedlichen Bereichen wie Beschäftigung, sozialer Schutz, Erziehung, Wohnen und Gesundheit.

Die revidierte ESC lockert die Ratifikationskriterien, die Ratifikation kann künftig «à la carte» erfolgen: Es genügt, dass ein ratifizierender Staat sechs der neun Artikel aus dem harten Kern des Abkommens zustimmt (darunter das Arbeitsrecht, das Vereinigungsrecht und das Recht auf soziale Sicherheit) sowie eine Reihe von Zusatzbestimmungen akzeptiert.

Nach der überraschenden Stellungnahme des Bundesrats vom Juli liegt der Ball nun beim Parlament. Letzteres wäre gut beraten, dem weitreichenden Legalismus der Regierung nicht Folge zu leisten. Und politische Weitsicht zu beweisen, indem es sich einmal mehr gegen dieses Abkommen stellt, das zahlreiche Gefahren für unser Land heraufbeschwört.

Die ESC zu ratifizieren, würde bedeuten, die links angehauchte Philosophie, die sich im Abkommen äussert, zu übernehmen. Es würde auch bedeuten, sich einem Abkommen zu unterwerfen, bei dem nicht wirklich klar ist, welches seine Vorteile sein sollen: Welche Tragweite hat beispielsweise der Artikel 1 «Recht auf Arbeit» in den 28 Mitgliedstaaten der EU, die allesamt die ESC ratifiziert haben und wo heute fünf Millionen Jugendliche unter 25 Jahren ohne Arbeit sind?

Die Charta zu ratifizieren, heisst vor allem, sich auf unbekanntes Gebiet zu begeben: Die in der ESC festgeschriebenen Rechte sind nämlich dynamische Rechte, die Gegenstand einer weitreichenden Auslegung vonseiten des Kontrollorgans des Europarats bilden. Setzen wir die Schweiz nicht unter Vormundschaft: Der politische Druck, der von den «Empfehlungen» des Europarats ausgeht, könnte sich dahingehend auswirken, dass unser Arbeitsmarkt stärker reglementiert wird – und dass gleichzeitig die Sozialleistungen ausgebaut werden.

In einer Zeit, in der die Schweiz mühsam versucht, die «Masseneinwanderungs-Initiative» umzusetzen, wäre es deplatziert, eine Einmischung des Europarats in den Arbeitsmarkt zuzulassen. Die Schweiz ist eine Insel des Wohlstands und der Beschäftigung, sie sollte den – politisch korrekten – Sirenenklängen der internationalen Solidarität nicht erliegen und dieses Abkommen, das alle Anzeichen einer Falle aufweist, ohne Wenn und Aber ablehnen. Wozu ein Abkommen ratifizieren, das keinen einzigen Mehrwert aufweist, dafür aber das Risiko birgt, unser liberales und erfolgreiches Wirtschaftsmodell in Mitleidenschaft zu ziehen?