Denunziantentum im Arbeitsverhältnis?

13. April 2012 Meinungen

Ein besonderer gesetzlicher Schutz für Whistleblowing verstösst gegen die Grundsätze eines modernen Rechtsstaats und ist nicht im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmenden.

Mit der «Causa Hildebrand» wurde auch die Diskussion um das Whistleblowing neu befeuert. Wie schon nach der Verurteilung von zwei Mitarbeiterinnen der Stadt Zürich wegen einer Amtsgeheimnisverletzung ertönte weit herum der Ruf nach einem besseren rechtlichen Schutz von Arbeitnehmern, die Missstände aus ihrem Betrieb in die Öffentlichkeit tragen. Gegenüber der unkritischen Sympathie für diese «Aufklärer» sind jedoch grundsätzliche Bedenken anzumelden.

Vom Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Den Verfechtern eines besonderen Schutzes für Whistleblower geht es nicht in erster Linie um Arbeitnehmerschutz. Sie wollen vielmehr das Whistleblowing fördern, weil sie darin ein Mittel sehen, um Verstösse gegen die Rechtsordnung oder auch nur sogenannte «Missstände» mit Hilfe von Insidern bzw. von Geheimnisträgern aufzudecken. Dieser Zweck soll die Mittel und damit auch den Geheimnisverrat der Arbeitnehmenden rechtfertigen. Demgegenüber ist zu betonen, dass der Whistleblower das Arbeitsverhältnis in einem Kernbereich angreift.

Er verletzt das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das vom Gesetzgeber mit entsprechenden rechtlichen Verpflichtungen abgesichert wird: Einerseits durch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, andererseits durch die Treue- und Geheimhaltungspflicht des Arbeitnehmenden. Gegenüber dem Schutz dieses Vertrauensverhältnisses darf sich das öffentliche Aufklärungsinteresse nur in gravierenden Ausnahmefällen durchsetzen.

Weg muss zu Behörden führen
Auf dieser Linie liegt auch die heutige Rechtsprechung des Bundesgerichts, das einen so genannt übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund annimmt, wenn das Whistleblowing einen schweren Verstoss gegen die Rechtsordnung betrifft. Auch in einem solchen Fall muss der Weg allerdings zu den Behörden und nicht zu den Medien führen. Die Verfechter des unqualifizierten Whistleblowing unterspülen eine wichtige Errungenschaft des modernen Rechtsstaats, in welchem die Durchsetzung des Zivilrechts den jeweiligen Rechtsträgern obliegt und für die Verfolgung von eigentlichen Straftaten der Staat zuständig ist. Wenn wir diesen Grundsatz relativieren, dann geraten wir auf eine schiefe Bahn, die im Denunziantentum und in der Selbstjustiz enden kann.

Für die Arbeitgeber ist es zudem nicht akzeptabel, dass ihre Mitarbeitenden für öffentliche Rechtsdurchsetzungs-Interessen instrumentalisiert werden. Sie wollen ihre Unternehmen als Vertrauensgemeinschaften führen und die Arbeitnehmer nicht als Agenten des Staates oder eines willkürlich definierten gesellschaftlichen Interesses sehen.

Chefs für rechmässiges Handeln verantwortlich
Für das rechtmässige Handeln der Unternehmen sind die Chefs verantwortlich. Dafür müssen sie zivilrechtlich und gegebenenfalls auch strafrechtlich geradestehen. Die Organisation der «Compliance» gehört zu den Kernaufgaben der Unternehmensführung und verlangt je nach Situation unterschiedliche Massnahmen. Vor allem in grossen Unternehen ist die Einrichtung von Meldeprozessen und unabhängigen Meldestellen ein gutes Instrument, um die Compliance zu gewährleisten.

Das solchermassen organisierte und in die Unternehmenskultur integrierte Whistleblowing ist durchaus positiv zu bewerten. Es unterscheidet sich aber grundlegend vom Denunziantentum im gläsernen Arbeitsverhältnis, wie es mit einem speziellen gesetzlichen Schutz der Whistleblower gefördert würde.