Fataler Hang zum Etatismus

8. Dezember 2015 Medienbeiträge

Die Staatsquote ist auf über 40 Prozent gestiegen, ein Ende des Staatsinterventionismus ist nicht in Sicht. In der Sozialpartnerschaft sind kooperative und dezentrale Lösungen zum Glück bis jetzt weniger umstritten. Der historische Pakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern darf nicht weiter gefährdet werden.

Die Geschichte lehrt uns, dass eine Gesellschaft umso erfolgreicher und wohlhabender ist, je freier ihre Mitglieder leben können. Dieser Gewissheit ist der Schweizerische Arbeitgeberverband verpflichtet: In seiner Arbeitgeberpolitik setzt er primär auf dezentraler Ebene an und verficht massgeschneiderte Lösungen für Unternehmen oder Branchen. Seine Vertreter sind überall dort anzutreffen, wo Menschen als Mitarbeitende von Unternehmen mit Fragen zu Arbeitsmarkt, Bildung oder Sozialpolitik konfrontiert sind. In allen diesen Bereichen zeigt sich immer stärker ein verhängnisvoller Drang zur Etatisierung – sowohl in der politischen Willensbildung als auch im Vollzug. Dank unserem Föderalismus, dem die sogenannte Kompetenzvermutung zugunsten der Gemeinde und des Kantons zugrunde liegt, sollte die Schweiz zwar relativ immun gegen überbordende Regierungsmacht und Zentralismus sein. Trotzdem hat sich die Staatsquote (unter Einrechnung der obligatorischen Gebühren, Abgaben, Krankenkassenprämien und Vorsorgebeiträge) inzwischen auf über 40 Prozent erhöht.

Und ein Ende des Staatsinterventionismus ist nicht in Sicht. Bei der Reform der Altersvorsorge soll der Wohlfahrtsstaat nach dem Willen von Bundesrat und jüngst auch Ständerat ausgebaut werden – ungeachtet der gravierenden finanziellen Lasten, die man damit künftigen Generationen aufbürdet. Trotz garantierter Gleichberechtigung fordert der Bundesrat eine gesetzliche Frauenquote in den Verwaltungsräten. Und unsere Landesregierung denkt gar laut über eine Lohnpolizei nach, obwohl umfassende Salärvergleiche wie in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie keine diskriminierende Lohndrückerei feststellen konnten.

In der Sozialpartnerschaft sind kooperative und dezentrale Lösungen zum Glück bis jetzt weniger umstritten. So werden die kollektiven Lohnverhandlungen immer auf Branchen- oder Betriebsebene geführt, nie hingegen auf nationaler Ebene, in allen Wirtschaftssektoren gleichzeitig oder direkt durch die Spitzenverbände selbst. Vertrag statt Gesetz: Um diese Art der kollektiven Arbeitsbeziehungen und um die damit erreichte politische und gesellschaftliche Stabilität werden wir beneidet.

Aufgrund des Franken-Schocks plädieren vereinzelte Stimmen derzeit für ein engeres Zusammenstehen der Sozialpartner (NZZ 12. 10. 15). Zur Verhinderung von Stellenverlagerungen ins Ausland sollten unternehmerisch denkende Gewerkschaften Lohnkürzungen zustimmen, wenn im Gegenzug die Unternehmer ihre Geschäftsbücher offenlegen. Hier läuft etwas falsch. Eine Sozialpartnerschaft, die die unternehmerische Freiheit in dieser Art beschneidet, verträgt sich nicht mit dem liberalen Wirtschaftssystem der Schweiz.

Ein solcher Schulterschluss ist zudem überflüssig. Die Arbeitgeber können nämlich bereits im Rahmen der geltenden Rechtsordnung – ohne Einbezug von Gewerkschaften – zu Lohnkürzungen greifen, wenn sie für die Arbeitsplatzsicherung zu einem solchen Schritt gezwungen werden. Natürlich müssen die Mitarbeitenden von einem solch gravierenden Einschnitt überzeugt werden, indem ihnen reiner Wein über die Ertragslage ihres Unternehmens eingeschenkt wird.

In diesem heiklen Bereich regt sich freilich auch Widerstand der Unternehmerschaft, weil das Vertrauensverhältnis zu den Sozialpartnern in den letzten Jahren wegen eines konfliktiven Kurses einzelner Gewerkschaften stark gelitten hat. Ein verantwortungsvoller Umgang mit vertraulichen Daten und Geschäftsgeheimnissen wird ihnen darum in vielen Fällen abgesprochen. Es braucht also keine erweiterte Sozialpartnerschaft, sondern besonnene Kräfte, die den historischen Pakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht weiter gefährden. Wer das nicht erkennt, spielt mit dem Feuer und kann sich leicht mehrmals die Finger verbrennen.

Der Gastkommentar von Roland A. Müller ist in der Rubrik «Was läuft falsch?» der NZZ erschienen.